ANALYSE. Die SPÖ-Krise lässt die Volkspartei vergessen, wie katastrophal es ihr selbst geht. Nicht einmal ein Spitzenkandidat namens Sebastian Kurz könnte all ihre Probleme kaschieren.
„Es reicht“, sprach der damalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer am 7. Juli 2008 auf einer Pressekonferenz. Die Sozialdemokraten waren gerade mit sich selbst beschäftigt, tauschten Alfred Gusenbauer gegen Werner Faymann aus und in der Großen Koalition ging wieder einmal gar nichts weiter. Also glaubte Molterer, Neuwahlen würden die Volkspartei zur Nummer eins machen. Das Ergebnis ist bekannt. Der Politiker Wilhelm Molterer ist längst Geschichte.
Heute steht nicht nur die SPÖ noch schlechter da als damals. Auch die ÖVP tut es. Nur merkt sie das ganz offensichtlich nicht: Sonst würde in ihren Reihen niemand im Ernst daran glauben, dass man nur Außenminister Sebastian Kurz zum Spitzenkandidaten küren müsse, um gestärkt aus Nationalratswahlen hervorzugehen.
Für einen Wahlerfolg müsste die Volkspartei nicht nur personell, sondern auch inhaltlich und organisatorisch neu aufgestellt werden. Und dafür wäre viel mehr als eine Zukunftskonferenz notwendig.
Zwar hat Vizekanzler und Parteichef Reinhold Mitterlehner für den 20. Mai eine „Zukunftskonferenz“ angesetzt und über den „Kurier“ wissen lassen, dass er die ÖVP „umkrempeln“ werde. Dass er das zustande bringen kann, muss jedoch bezweifelt werden. Zu groß ist die Liste der Versäumnisse und Sünden, die er selbst bisher begangen hat.
Für einen Wahlerfolg müsste die Volkspartei nicht nur personell, sondern auch inhaltlich und organisatorisch neu aufgestellt werden. Und dafür wäre viel mehr als eine Zukunftskonferenz notwendig:
- Inhaltich ist der Profilverlust unter Mitterlehner nicht nur fortgesetzt, sondern in zentralen Fragen sogar beschleunigt worden. Stichwort „Steuerreform“: Wenige Reiche wurden um den Preis geschont, viel mehr Unternehmer zu belasten. Leistungsträger kann die Partei unter diesen Umständen nicht mehr ansprechen. Beispiel „Flüchtlingspolitik“: Mitterlehner selbst hat zunächst einen humanitären Kurs propagiert, um Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Kurz dann jedoch in die entgegengesetzte Richtung fahren zu lassen. In Summe hat die ÖVP Wähler an wirtschaftsliberale NEOS, menschenrechtsorientiertere Grüne, restriktive Freiheitliche und zuletzt die bürgerliche Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss verloren.
- Personell hat Mitterlehner in den bald zwei Jahren seiner Vorsitzführung keine oder keine glückliche Hand bewiesen: Die Leute, die für ihn am wichtigsten wären, Minister sowie Klubobmann Reinhold Lopatka und Generalsekretär Gernot Blümel, hat er von seinem Vorgänger Michael Spindelegger übernommen; ausgetauscht hat er dann nur letzteren, Neo-Generalsekretär Peter McDonald hat mit dem Präsidentschaftswahlkampf für Andreas Khol jedoch einen denkbar schlechten Einstieg geliefert. Zur Rechtfertigung Mitterlehners gibt es nur eine Erklärung, die allzu oft übersehen wird: Die ÖVP ist über die Jahre personall ausgedünnt. So gibt es kaum noch Leute, die politische Strategien entwickeln und erfolgversprechende Kampagnen organisieren können.
- Organisatorisch hat die ÖVP gleich mehrere Probleme, die schließlich in einem einzigen münden: Bünde und zahlreiche Landesorganisationen haben massiv an Macht und Bedeutung eingebüßt; übrig geblieben ist nur noch die umso dominantere niederösterreichische Landespartei unter Führung von LH Erwin Pröll. Auch wenn sein Verhalten rund um die Präsidentschaftswahl der ÖVP insgesamt geschadet hat, bleibt er der einzige, der Gewicht hat. Und daran wird nicht einmal die Stimmungsmache aus Mitterlehners Heimatland Oberösterreich etwas ändern; im Gegenteil, das wird Pröll eher dazu motivieren, noch mehr zu demonstrieren, dass nach wie vor er es ist, der in der Volkspartei anschafft.