ANALYSE. Kurz und Strache haben gute Chancen, mit verhältnismäßig geringem Einsatz sehr erfolgreich zu werden. Strukturreformen könnten ihnen da eher schaden.
Selbst der Boulevard wird allmählich ungeduldig: „Wo sind die Leuchttürme geblieben?“, vermisst die Tageszeitung „Österreich“ bei den Koalitionsverhandlungen das, was man als Strukturreformen umschreiben könnte. Sie wissen schon: Steuer-System-Reform, Maßnahmen für eine langfristige Pensionssicherung etc.
Dass diesbezüglich noch nichts vorliegt, hat viele Gründe: Für die Schlussphase der Verhandlungen brauchen die Chefs, also Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), Manövriermassen. Motto: Will der eine dies, muss er halt auf jenes verzichten. Und so weiter und so fort. Nur so kann es am Ende zu einem Ergebnis kommen, in dem sich etwa die FPÖ zu 50 Prozent wiederfindet, wie sie es ausdrücklich möchte.
Vor allem aber sollte man eines nicht vergessen: ÖVP und FPÖ sind bei dieser Nationalratswahl weniger erfolgreich gewesen, weil sie konkrete Strukturreformen angekündigt haben, sondern weil sie vielmehr eine Absage an bisherige Gepflogenheiten, Politik (nicht) zu machen, verkörpert haben. Ja, man kann sogar behaupten, dass das gereicht hat.
Nötige Strukturreformen wären vor allem eines: Für den Durchschnittsösterreicher schmerzlich.
Nötige Strukturreformen wären vor allem eines: Für den Durchschnittsösterreicher schmerzlich. Sie würden bei den Pensionen zum Beispiel bedeuten, dass er wesentlich länger arbeiten muss oder im Alter dann einmal weniger bekommt. Sonst geht sich das auf Dauer hinten und vorne nicht aus; so groß kann die Produktivitätssteigerung gar nicht ausfallen. Weder das eine noch das andere ist jedoch mehrheitsfähig. Folglich haben ÖVP und FPÖ diese Frage im Wahlkampf umschifft, ja, die FPÖ hat sogar eine Erhöhung von Mindestpensionen angekündigt, was das System noch schneller zum Kippen bringen würde.
Gewählt worden sind die beiden Parteien vor allem deshalb: Weil sie unangenehme Wahrheiten ausgesprochen haben, die von sehr vielen auch als solche wahrgenommen werden; Stichwort Flüchtlinge, Stichwort Integration. Und weil SPÖ und ÖVP in den vergangenen Jahren dies getan haben: Sie haben sich gegenseitig und damit ein Stück weit auch die gesamte Politik niedergemacht.
Vor diesem Hintergrund haben Kurz und Strache schon einmal einen ersten Schritt zu ihrem Erfolg gesetzt, indem sie bei den Koalitionsverhandlungen anders miteinander umgehen, sich gegenseitig keine Bösartigkeiten ausrichten, sondern gemeinsam immer wieder Pressekonferenzen geben etc. Wobei Kurz bereits mit dem Bonus losgelegt hatte, dass er es in seinen eigenen Reihen geschafft hatte, durchzugreifen – und mit Blockaden, die kein Mensch mehr ertragen konnte, Schluss zu machen.
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