ANALYSE. Der ÖVP-Chef hat bisher nichts Wesentliches gemacht aus dem Regierungsbildungsauftrag. Damit riskiert er Rufe aus den eigenen Reihen nach einer Zusammenarbeit mit Kickl.
Auch wenn es noch so oft heißt, Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe ÖVP-Chef Karl Nehammer einen „Sondierungsauftrag“ erteilt: Von Sondierungen hat Van der Bellen am 22. Oktober nicht gesprochen: Er hat ihn ausdrücklich mit der Regierungsbildung beauftragt und gebeten, „umgehend Verhandlungen mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs aufzunehmen“.
Er hat lediglich darauf hingewiesen, dass für erfolgreiche Regierungsverhandlungen zwei wesentliche Fragen geklärt werden müssten: Gibt es genügend Kompromissbereitschaft? Ist eine dritte Partei nötig? Die Aufforderung, „umgehend“ Verhandlungen aufzunehmen, relativiert das jedoch: Sich mehrere Wochen dafür Zeit zu nehmen, kann damit kaum gemeint sein. Stand 11. November ist jedenfalls noch immer offen, ob ÖVP und SPÖ überhaupt einmal ernsthaft loslegen werden (mit oder ohne Noes oder Grüne).
Man könnte auch sagen: Karl Nehammer ist dabei, den Regierungsbildungsauftrag zu verschlampen. Schon klar: Als ÖVP-Politiker versucht er wegen der Landtagswahl in der Steiermark auf Zeit zu spielen. Ohne FPÖ ernst zu machen, könnte dieser noch mehr Zuspruch bescheren. Ein überzeugendes Argument ist das jedoch nicht.
Nehammer hat sich mittlerweile ja selbst schon als Anti-Kickl geoutet. Er ist es, der eine Zusammenarbeit mit diesem ausschließt und diesen daher ausgrenzt. Insofern kann er schon niemandem mehr empören, wenn er Regierungsverhandlungen ohne FPÖ beginnt.
Verheerender: Nehammer ist kommunikativ null bestimmend. Man weiß nicht, warum (so lange) sondiert wird und worum es dabei geht. Man hat keine Ahnung, worauf Nehammer inhaltlich überhaupt hinaus will. Damit gemeint sind hier nicht Phrasen wie „Leistung muss sich lohnen“ oder „Standort sichern“. Damit gemeint ist etwas Größeres, was den Umbrüchen der Zeit gerecht wird.
Und was eine Begründung dafür sein könnte, unter Beteiligung einer dritten Partei zu einer „Großen Koalition“ zurückzukehren. Nehammer könnte zum Beispiel sagen, die Umstände würden es notwendig machen, dass ÖVP und SPÖ und damit indirekt auch die Sozialpartner wieder an einem Strang ziehen. Er sagt jedoch nichts dergleichen.
Ergebnis: Es verfestigt sich der Eindruck, dass Türkis-Rot aus seiner Sicht nur eine Option ist, weil Herbert Kickl als Partner für eine Zusammenarbeit ausscheidet. Das ist aber ein bescheidenes Fundament. Es droht mit jedem rechten Wahlerfolg, sei es in den USA oder bald in der Steiermark, brüchiger zu werden. Immer mehr ÖVP-Leute drohen im Geiste eines Sebastian Kurz festzustellen, dass man sich aufgrund des nationalen und internationalen Rechtsrucks mit Rechten zusammentun müsse; und dass man sich auch mit einem Herbert Kickl zusammenstreiten sollte, ehe man selbst marginalisiert ist.
Es ist kein Trost für Karl Nehammer, dass auch aus der Sozialdemokratie nichts kommt. Dass auch Andreas Babler passiv agiert, anstatt zu sagen, er wolle eine „Große Koalition“ auf der Höhe der Zeit, ja er sei überzeugt, dass es das jetzt brauche, weil es für Land und Leute wichtig sei.
Mag sein, dass das seiner Rolle als Allenfalls-Juniorpartner geschuldet ist. Aber wenn es sonst niemand tut, könnte er auch als Vertreter der drittstärksten Partei Druck machen. Immerhin hat Van der Bellen ja nicht Verhandlungen mit irgendwem, sondern mit seiner SPÖ gefordert. Ein Stück weit hat damit auch er einen Regierungsbildungsauftrag erhalten.