ANALYSE. Warum die Rahmenbedingungen für eine große Wahlrechtsreform noch nie so günstig gewesen sind.
Von den Mehrheitsverhältnissen her könnte die Regierungsbildung nach der nächsten Nationalratswahl ja sehr, sehr einfach werden. Auch wenn man die aktuellen Umfragewerte nur als das betrachtet, was sie sind, nämlich erstens Momentaufnahmen und zweitens vage Stimmungsbilder, ist das so. Rein theoretisch gehen sich dann gleich drei Konstellationen sehr gut aus: SPÖ/ÖVP, FPÖ/ÖVP und SPÖ/FPÖ.
Ausschlaggebend dafür ist eine mögliche Stärkung dieser Parteien infolge eines Kanzlerwahlkampfes zwischen Amtsinhaber Christian Kern (SPÖ) sowie seinen Herausforderern Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die auf der anderen Seite den Kleinparteien Grünen und NEOS zu schaffen macht. Und dass davon ausgegangen werden kann, dass dem nächsten Nationalrat nicht mehr sechs, sondern nur noch fünf Fraktionen angehören werden; die Aussichten des Team Stronach, sich im Hohen Haus zu halten, sind jedenfalls eher bescheiden.
Nach einem Jahr Rot-Schwarz weiß Kern, dass ihn die Große Koalition auf Dauer nur aufreiben kann.
Theoretisch mögliche Regierungskonstellationen laufen aber nicht auf praktisch machbare, ja sinnvolle hinaus. Womit wir beim entscheidenden Grund dafür angelangt wären, dass die Rahmenbedingungen für ein Mehrheitswahlrecht in Österreich noch nie so günstig gewesen sind: Besonders Kern und Kurz könnten ein sehr großes Interesse daran haben.
„Wenn uns die ÖVP den Stuhl vor die Tür stellt, bedeutet das auch das Ende für eine rot-schwarze Zusammenarbeit für sehr lange Zeit“, hatte der Bundeskanzler vor eineinhalb Wochen gewarnt. Vergeblich: Kurz hielt am Koalitionsbruch und Neuwahlen im heurigen Herbst fest. Jetzt könnte es sich Kern natürlich wieder anders überlegen. Nach einem Jahr Rot-Schwarz weiß er aber, dass ihn die Große Koalition auf Dauer nur aufreiben kann. Alternative: Rot-Blau oder Blau-Rot. Das wäre in der Sozialdemokratie nicht so einfach durchzubringen – und würde für Kern letztlich wohl dasselbe bedeuten wie Rot-Schwarz.
Und überhaupt erweckt Kurz nicht den Eindruck, als würde er sich Macht besonders gerne teilen.
Besser wäre es da für den derzeitigen Regierungschef, nicht erst unter (öffentlichen) Druck zu geraten, eine dieser Konstellationen gar noch als Juniorpartner zu ermöglichen; besser wäre es für ihn da allemal, gleich in Opposition gehen zu dürfen. Von dort heraus wäre in ein paar Jahren vielleicht sogar mehr möglich.
Ähnliches gilt für Kurz: Zumal er alles anders und vieles besser machen möchte, kann eine Große Koalition – selbst unter seiner Führung – nicht wirklich in seinem Interesse sein. Eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen mag inhaltlich naheliegend sein, birgt aber Risiken. Siehe Schwarz-Blau I ab dem Jahr 2000. Zudem scheint er ohnehin Anhänger der direkten Demokratie zu sein. Sprich: Regieren über Volksabstimmungen. Und überhaupt erweckt er nicht den Eindruck, als würde er sich Macht besonders gerne teilen. All das sprich gegen den Zwang zu Koalitionen – und für ein Mehrheitswahlrecht, das dem Sieger zumindest 50 Prozent plus eine Stimme auf parlamentarischer Ebene bescheren würde.
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