ANALYSE. Im Zentrum stehen FPÖ-Wähler. Sie zu umwerben ist mit den Grünen nicht einfach, aber möglich. Und mit der ÖVP oder mit den Neos? Sie haben gute Gründe, sich letztlich selbst aus dem Koalitionsspiel zu nehmen.
Die einen schreiben von Rot-Türkis, die anderen von Rot-Pink und die dritten von einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition nach der Wiener Gemeinderatswahl. Je nachdem, welche Zeitung man liest. Da und dort ist wohl auch Wunschdenken dabei.
Doch was ist Sache? Das hängt zunächst einmal vom Ergebnis des Urnengangs ab. Und was das betrifft, lehrt die Erfahrung, dass es gegenüber Umfragen ein paar Überraschungen geben wird. Also ist es zumindest von daher müßig, zu spekulieren, welche Koalition letzten Endes herauskommen könnte.
Es ist aber noch etwas maßgeblich: SPÖ und ganz besonders auch ÖVP orientieren sich an den Freiheitlichen. Ja, an den Freiheitlichen. Man könnte umgekehrt auch sagen, die Freiheitlichen seien unheimlich mächtig. Zumindest indirekt. Doch dazu muss man weiter ausholen.
Die Sozialdemokratie hat mit der Kür von Michael Ludwig zum Nachfolger von Michael Häupl eine Richtungsentscheidung getroffen, die mit ihrer Wahlniederlage 2015 zusammenhängt: Damals hat sie fünf Prozentpunkte verloren und die FPÖ ebensoviel gewonnen. Besonders stark ist die FPÖ in den Flächenbezirken geworden. Ludwig ist ein Mann aus den Flächenbezirken und hat den Fokus der Sozialdemokratie stärker darauf ausgerichtet.
Zum einen lief dies auf eine Art „Wiener zuerst“-Politik hinaus, die unter dem Titel „Wien-Bonus“ läuft. Das ist – bei Wohnungs- und Jobvergaben – eine Bevorzugung von Menschen, die schon länger in der Stadt leben. Zumindest zu Beginn seiner Amtszeit hat Ludwig das nicht oft genug betonen können. Nahliegende Adressaten: FPÖ-Wähler, die sich gegenüber Zuwanderern (woher auch immer) benachteiligt sehen.
Zum anderen hat Ludwig die rot-grünen Beziehungen abkühlen lassen. Leidenschaftliche Autofahrer, die wie Raucher traditionell zu einer zentralen Zielgruppe der FPÖ zählen, dürfen nicht mit Radwegen, Schwellen oder gar einer verkehrsberuhigten Innenstadt vergrämt werden. Also hat Ludwig die „autofreie City“ abgewürgt.
Die ÖVP hat ihre Bemühungen um die Viertelmillion FPÖ-Wähler des Jahres 2015 erst unter Sebastian Kurz forciert. Mit „Wien-Bashing“ (weil diese Leute zu einem guten Teil finden, dass die Stadt schlecht regiert wird und überhaupt alles schlechter wird) und mit der bekannten Flüchtlings- und Integrationspolitik.
All das hat sehr viel mit der Koalitionsfrage nach der Gemeinderatswahl zu tun: Ludwig wird seinen Kurs kaum ändern. Sollte er zulegen, darf an seiner Seite mitregieren, wer sich dem beugt. Auf Bundesebene haben die Grünen bewiesen, dass sie diesbezüglich sehr flexibel sind. In Wien haben sie zuletzt ebenfalls gezeigt, dass sie fast alles schlucken. Die Absage an ihr großes Projekt, die verkehrsberuhigte Innenstadt, haben sie bemerkenswert sang- und klanglos hingenommen.
Den Neos ist das eine Warnung. Zu glauben, dass Ludwig mit ihnen einen neuen Kurs einschlagen möchte, ist illusorisch. Und die ÖVP? Will die neue Volkspartei ihre Ausrichtung beibehalten, kann sie sich schwer auf eine Koalition mit „den Sozialisten“ „in Wien“ einlassen. Das wäre ein doppelter Widerspruch: Sebastian Kurz lebt davon, sich als Antithese zur SPÖ zu inszenieren und als Vertreter eines ländlichen Österreichs, wo er denn auch seine größten Wahlerfolge erzielt; er braucht diese Polarisierung im Werben um eine Masse rechts der Mitte.
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