ANALYSE. Mitten in der Regierungskrise verabschiedet sich der Kanzler in den Wahlkampf und unterschätzt dabei auch noch die FPÖ.
Er hätte es sich auch einfach machen und die schwarz-blaue Regierungszusammenarbeit mit anderen Köpfen fortsetzen können, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Samstagabend. Das war nur ein Schnitzer, der verdeutlicht, wie sehr er die „Message Control“ verloren hat. Allgemeingut ist immerhin, dass er sich stundenlang darum bemüht hatte, nach Vizekanzler Heinz-Christian Strache auch Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) zum Rücktritt zu bewegen. Warum nur, wenn Rochaden allein ohnehin zu einfach gewesen wären?
Parteipolitik der verbrannten Erde, nennt man das.
Viel heftiger aber noch war, dass Kurz bei dieser Rede, bei der er das Scheitern seiner Regierung und Neuwahlen verkündete, gleich einmal die Rolle des Kanzlers aufgab und die des Parteifunktionärs übernahm. Als wäre die ÖVP das wichtigste in diesen Stunden. Gut, Kurz ist es das ganz offensichtlich schon: Für Österreich geht’s demnach darum, dass die ÖVP gestärkt wird. Weil’s mit der SPÖ nur Stillstand gibt, Neos und Grüne zu klein sind und man bei der FPÖ sieht, was passiert. Parteipolitik der verbrannten Erde, nennt man das.
Und ja, die FPÖ: Nur, weil’s die „Krone“ schreibt, muss sie nicht am Ende sein. Im Gegenteil, auch Sebastian Kurz unterschätzt sie maßlos. Deutlicher wird das, wenn man ins Jahr 2002 zurückblendet, mit dem jetzt immer wieder Vergleiche gezogen werden: Damals hatten sich die Freiheitlichen de facto selbst aufgelöst. Die Wolfgang Schüssel-ÖVP profitierte davon und machte die fulminanten 42 Prozent bei den folgenden Neuwahlen auch dadurch perfekt, dass sie mit Finanzminister Karl-Heinz Grasser einen Mann in ihre Reihen lockte, der von seiner Ex-Partei FPÖ noch einmal zehntausende Wähler mitbrachte.
Kickl ist ein schier unschlagbares Angebot an Hardcore-Wähler.
Bei Kurz ist das alles anders. Er ist mit Freiheitlichen konfrontiert, denen man – sicher ist sicher – noch immer sehr viel zutrauen muss. Gerade als Mitbewerber: Neoparteichef Norbert Hofer und Innenminister Herbert Kickl sind bisher unbeschadet aus dem Videoskandal hervorgegangen. Es handelt es sich außerdem um echte Kaliber: Hofer hat bei der Präsidentschaftswahl 2016 gezeigt, was einem FPÖ-Politiker möglich ist. Und Kickl ist ein schier unschlagbares Angebot an Hardcore-Wähler, an die nicht einmal Kurz herankommt, dem bisher so vieles möglich gewesen ist.
Vor diesem Hintergrund kann man sich über die „Jetzt erst recht“-Parolen der Freiheitlichen lustig machen. Klug ist es nicht. Und überhaupt: Stolpert Kurz über sich selbst, geht’s erst los mit der politischen Krise in diesem Land. Schließlich ist die Bundes-ÖVP ohne ihn nichts mehr, die FPÖ wie sie ist und die SPÖ erst auf der Suche nach ihrer Kampagnenfähigkeit.