ANALYSE. Türkis-Grün stößt parteiintern auf wesentlich größere Vorbehalte als die bisherige Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat am Wochenende ganz schön irritiert. Bewusst oder unfreiwillig: Im „Kurier“ war zu lesen, dass er davon ausgeht, dass die türkis-grüne Koalition Anfang Jänner steht. Und dass es mit den Grünen zum Teil gar nicht so einfach ist. Wegen der Insekten wollten sie zum Beispiel, dass das Flutlicht in Fußballstadien früher abgedreht werden muss. Grünen-Sprecher Werner Kogler wies dies zurück. Was bleibt, ist jedoch dies: Wenn Kurz die Koalition wirklich will, steckt er keine solchen Geschichten, die den künftigen Partner ziemlich jenseitig ausschauen lassen. So etwas kann nach allen Gesetzen der Innenpolitik eigentlich nur von jemandem kommen, der diese Regierungsbildung torpedieren möchte.
Möglichkeit eins: Kurz selbst betreibt ein Doppelspiel. Motto: Den Partner (offen) umwerben und gleichzeitig (anonym) demütigen. Möglichkeit zwei: Aus den Reihen der ÖVP wird versucht, Sand ins Getriebe zu streuen.
Möglichkeit zwei weist auf einen unterbelichteten Punkt hin: Türkis-Grün stößt in der ÖVP auf wesentlich größere Vorbehalte als es die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen zunächst getan hat. Ja: Sebastian Kurz ist als Parteichef gefordert, er muss als solcher erstmals Leadership zeigen.
Bei der Übernahme der Partei im Frühjahr 2017 hatte er sich alle erdenklichen Freiheiten herausholen können; alle waren froh, dass sich jemand gefunden hat, der bereit ist, die Partei zu führen. Nach der Wahl war im Kontext mit der Flüchtlingskrise und seiner eigenen Kampagne eine türkis-blaue Koalition naheliegend. Damit schwergetan haben sich eher nur Salzburger, Tiroler und Vorarlberger Schwarze, die auf Landesebene mit Grünen koalieren. Alles in allem war für Türkis-Blau jedoch keine Überzeugungsarbeit nötig.
2019 ist das anders. Gegen Türkis-Grün hat sogar einer der ersten Fürsprecher der jüngeren Vergangenheit etwas einzuwenden: Wirtschaftskammer- und ÖVP-Wirtschaftsbund-Präsident Harald Mahrer. Einen grünen Wirtschaftsminister bezeichnet er als „denkunmöglich“. Von der Wirtschaft ist es nicht weit zur Landwirtschaft und dem einflussreichen ÖVP-Bauernbund: „Die Bauern sind nach wie vor skeptisch“, ließ Ex-Obmann Jakob Auer vor wenigen Wochen in den Oberösterreichischen Nachrichten wissen: Kein Wunder, von Pestizideinsatz über Tierschutz bis Agrardiesel liegen Welten zwischen der ÖVP und den Grünen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Tourismus: Während Ökos gegen den geplanten Zusammenschluss der Tiroler Gletscherskigebiete Pitztal und Ötztal Sturm laufen, meint der Sprecher der Seilbahnwirtschaft, der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl, es handle sich um ein „Zukunftsprojekt“.
Doch zurück zur Wirtschaft: Türkis-Blau hat in ihrem Sinne und mit ihrer Unterstützung gerade erst eine Bestimmung verabschiedet, die Standortinteressen zumindest gleichstellen mit Umweltinteressen. Ziel: Großbauten wie die 3. Piste auf dem Wiener Flughafen sollen so ab sofort schneller realisiert werden können. Für die Grünen würde es zwar schwer werden, das rückgängig zu machen, über ein gestärktes Umwelt- und Verkehrsministerium hätten sie jedoch Einflussmöglichkeiten, die Standortinteressen zum Missfallen der Wirtschaft wieder zu relativieren.
Da haben sich für Kurz schon bei den Koalitionsverhandlungen quasi automatisch ganz andere Fronten aufgetan: Nicht nur, dass er sich mit einem Partner herumschlagen muss, der aufgrund der inhaltlichen Differenzen nicht ganz so einfach ist, wie es die Freiheitlichen gewesen sind; er muss auch ziemlich viele Leute in den eigenen Reihen besänftigen und dafür gewinnen.
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