ANALYSE. Der ÖVP-Chef steht vor einem großen Erfolg – und zunehmend auch einer bitteren Niederlage. Sein Wahlkampf verrät es.
Als ÖVP-Chef Sebastian Kurz vor dem Sommer die schwarz-blaue Koalition auf- und Neuwahlen ankündigte, klang er, als wolle er die absolute Mehrheit holen. Im Laufe der Zeit hat er das abgeschwächt: Gegen seine Partei solle keine Regierung möglich sein, sagte er. Und jetzt warnt er schon vor eine rot-grün-pinken Mehrheit. Das eine widerspricht zwar nicht dem anderen, kann aber auch vor diesem Hintergrund gesehen werden: Die Umfragewerte der neuen Volkspartei haben sich nicht verbessert. Im Gegenteil, von bis zu 38 haben sie sich auf bis zu 33 Prozent nach unten entwickelt.
Womit Kurz noch immer der große Wahlsieger wäre, damit kein Missverständnis entsteht: Er hätte den Stimmenanteil der ÖVP ausgebaut; und weil SPÖ und FPÖ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlieren werden, wäre darüber hinaus auch noch der Abstand zu ihnen vergrößert.
Ein Sieg auf diesem Niveau wäre zugleich jedoch eine Niederlage: Es würde nicht mehr Koalitionsoptionen für Sebastian Kurz geben. Wie schon 2017 könnte er de facto nur zwischen Schwarz-Blau und Schwarz-Rot wählen. Gut, Schwarz-Grün-Pink wäre theoretisch wohl auch möglich. Eine „ordentliche Mitte-Rechts Politik“, wie sie Kurz ausdrücklich haben möchte, ist damit jedoch nicht zu haben. Also scheidet diese Konstellation aus.
Mit dem Freiheitlichen würde es trotz des vergrößerten Abstandes um nichts einfacher werden. Allein schon, dass sie nach Ibiza nicht untergegangen sind, macht sie selbstbewusst. Ganz zu schweigen davon, dass sie merken, dass Kurz die „Mitte-Rechts-Politik“ praktisch nur mit ihnen bewerkstelligen kann.
Wie konnte es für Kurz soweit kommen? Da ist zum einen eben, dass die Freiheitlichen stärker sind als erwartet. Jeder Prozentpunkt, den sie halten, fehlt Kurz. Zum anderen kommt hinzu, dass es Kurz nicht gelungen ist, über potenzielle ÖVP- und FPÖ-Wähler hinaus zu punkten. Im Gegenteil: Allein schon, dass den Neos acht, neun Prozent und damit erhebliche Zugewinne ausgewiesen werden, ist ein Alarmsignal für ihn. Neos haben bisher immer zu einem wesentlichen Teil von enttäuschen ÖVP-Wählern gelebt. Ohne sie wären sie 2013 nicht in den Nationalrat gekommen und hätten sich 2017 auch kaum dort halten können.
Vor diesem Hintergrund wirkt der ÖVP-Slogan „Österreich braucht seinen Kanzler“ daneben: Kurz würde eine Direktwahl zwar eindeutig für sich entscheiden. In Wirklichkeit ist er aber nur Kanzler(-Kandidat) der Mitte-Rechts-Wähler.
Im Wahlkampffinale geht es für den 33-Jährigen schon nur noch darum, zumindest diese Mitte-Rechts-Wähler mit allen erdenklichen Mitteln zu gewinnen. Zum Beispiel, in dem er sich zunehmend bemüht, allgemeine Verunsicherung vor offenen Grenzen zu schüren, die angeblich mit Grünen einhergehen würden; oder in dem er wieder auf das Codewort „Silberstein“ zurückgreift – erstmals aber nicht gegenüber den Sozialdemokraten, sondern gegenüber den Neos und das auch noch mit dem Zusatz, dass Tal Silberstein „einer der teuersten Wahlkampfberater der Welt (sei), ein Israeli, der in Amerika, Osteuropa, Österreich als Söldner Wahlkämpfe macht“. Das ist eine unmissverständliche Botschaft zur Mobilisierung des rechten Lagers. Und sonst nichts mehr.