Kurz und das Abendland

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ZAHLEN ZUM TAG. Was der ÖVP-Chef auf einer Gebetsveranstaltung in der Wiener Stadthalle tut? Ganz einfach: Potenzielle Wähler treffen. Darüber steht jedoch eine Art Kulturkampf.

„Wie Weltjugendtag, jedoch für etwas ältere und nicht nur für Katholiken“: So haben Teilnehmer von „Awakening Austria“ die Stimmung auf der Großveranstaltung beschrieben, die am Donnerstagabend in der Wiener Stadthalle gestartet ist und noch bis Sonntag über 10.000 junge Erwachsene aus verschiedenen Freikirchen sowie der katholischen und der evangelischen Kirche versammelt. Mit Rockmusik, Vorträgen, Zeugnissen, Gebeten und missionarischen Straßenaktionen sollen Impulse für gesellschaftliche Erneuerung gegeben werden. Kardinal Christoph Schönborn wird am Sonntag einen Gottesdienst feiern. – So der Vorabbericht der katholischen Presseagentur kathpress.

Am Sonntag (16. Juni) gab’s neben dem Gottesdienst des Kardinals noch ein Highlight: ÖVP-Chef, Ex-Kanzler Sebastian Kurz trat auf, um sich bei den Gastgebern und Schönborn für die Gebete „für Österreich und die neun Bundesländer“ zu bedanken. Grund zu danken hätte er im Übrigen für die Gebete vor Ort für ihn persönlich gehabt. Gastgeber Ben Fitzgerald sprach in der vollen Halle ein Dank- und Segensgebet für den 32-Jährigen: „Vater, wir danken dir so sehr. Für die Weisheit, die du ihm gegeben hast. Für das Herz, das du ihm gegeben hast für dein Volk.“

Der Auftritt des ehemaligen und möglicherweise auch künftigen Regierungschefs bei „Awakening Austria“ sollte nicht weiter überraschen. Gläubige Menschen sind eine wichtige Wählergruppe für ihn. Eine Ahnung davon bekommt man, wann man sich das Wahlverhalten von Katholiken im Allgemeinen und regelmäßigen Kirchgängern im Besondern anschaut. Diese Gruppen werden zwar immer kleiner. Gerade unter Kurz spielen sie für die ÖVP aber wieder eine besondere Rolle.

Das zeigen die Wahltagsbefragungen, die GfK-Austria durchgeführt hat. Bei Katholiken kam die ÖVP unter Kurz vor zwei Jahren demnach auf 38 Prozent. Das ist überdurchschnittlich. Insgesamt erreichte die Partei bekanntlich 31,5 Prozent.

Extremer noch sind die Verhältnisse bei den regelmäßigen Kirchgängern. Bei Ihnen ist der ÖVP-Stimmenanteil von 1990 bis 2008 von 60 auf 53 Prozent zurückgegangen. Mit Kurz holte die Partei 2017 jedoch 65 Prozent, also gut zwei Drittel der Wähler. Besonders stark verloren hat in dieser Gruppe übrigens die FPÖ: Gegenüber 2008 brach sie 2017 um beinahe die Hälfte von 18 auf zehn Prozent ein.

Den Kurz-Auftritt in der Stadthalle darauf zu reduzieren, wäre jedoch zu einfach. Das ist viel mehr. Eine Art Kulturkampf, der mit religiösen Mitteln ausgetragen wird. Wer sich mit Christen so demonstrativ zum Gebet trifft, will damit etwas vermitteln, was Heinz-Christian Strache einst mit einem Kreuz auf einer Wahlkampfbühne getan hat: „Seht, ich stehe für ein gefährdetes Abendland gegen Muslime und Andersgläubige.“

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