ANALYSE. Der ÖVP-Chef versucht mit den Grünen zu verhandeln, ohne es sich mit den Freiheitlichen zu verscherzen. Von daher bleibt alles offen.
Auch nach dem grünen und dem türkisen Beschluss, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, ist alles offen: Grünen-Chef Werner Kogler hat klargestellt, dass es mit seiner Partei keine Fortsetzung der bisherigen Mitte-Rechts-Politik geben werde, und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz hat für seine Partei ausdrücklich die Möglichkeit betont, „dass wir mit den Grünen nicht zu einer Einigung kommen“.
Das ist seltsam. Selbstverständlich liegt es in der Natur der Sache, dass Verhandlungen scheitern können. So wie das aber von Kurz und Kogler betont wird, bringt es sehr, sehr großes Misstrauen zum Ausdruck. Anders wäre das, sie würden sich zum Beispiel folgendermaßen äußern: „Liebe Österreicherinnen und Österreicher, wir konzentrieren uns jetzt ganz auf ernsthafte Gespräche und werden uns bemühen, bestmögliche Ergebnisse für alle zu erzielen. Und Punkt. Bitte haben Sie Verständnis dafür.“
Dass das Scheitern schon vor Beginn so demonstrativ eingepreist wird, hat nachvollziehbare Gründe. Beginnen wir bei Werner Kogler: Er muss aufpassen, seine Wählerinnen und Wähler nicht zu überfordern. Das sind auch ziemlich viele Kurz-Kritiker, um es vorsichtig zu formulieren. Für sie ist der Hinweis auf rote Linien eine Beruhigung. Zwischen den Zeilen heißt es: „Keine Panik, wir koalieren nur, wenn’s passt.“
Für Sebastian Kurz ist die Sache noch schwieriger: Er hat den Regierungsbildungsauftrag und trachtet schon allein im Sinne seiner Verhandlungsposition danach, möglichst lange möglichst viele Optionen zu haben. Er ist aber auch indirekt den Freiheitlichen verpflichtet bzw. dem einen Drittel seiner Wähler, das er 2017 und 2019 von Rechtspopulisten geholt hat.
Das erklärt, warum er selbst bis heute betont, sich inhaltlich treu zu bleiben und weiterhin eine ordentliche Mitte-Rechts-Politik betreiben zu wollen. Oder warum seine Vertraute, die niederösterreichische Landeshauptfreu Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), im Ö1-Journal zu Gast erklärt hat, dass die separierten Deutschförderklassen bleiben müssen, die die Grünen so deutlich ablehnen – und warum sie im Übrigen auch an der Option Türkis-Blau festhält.
Da muss schon sehr viel passieren, dass Kurz sagt, „gut, ich bin bereit, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen und mich von den Freiheitlichen und dem Migrationsthema etwas abzuwenden und mehr den Grünen und dem Klimaschutz zuzuwenden“: Das muss er erstens wollen. Zweitens muss eine solche Koalition fix möglich sein. Und drittens muss Kurz zum Schluss kommen, dass er damit längerfristig eher eine (andere) Wählermehrheit halten kann. Ob er das tun wird? Wenn das absehbar wäre, könnte man davon ausgehen, dass Türkis-Grün kommt. Vorerst bleibt es das eben ganz und gar nicht.
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