Kurz fordert sein Glück heraus

ANALYSE. Der neue ÖVP-Chef hätte Zuspitzungen oder gar Manipulationen bei der Darstellung von Integrationsproblemen nicht nötig.

-

ANALYSE. Der neue ÖVP-Chef hätte Zuspitzungen oder gar Manipulationen bei der Darstellung von Integrationsproblemen nicht nötig.

„Ach, du eiliger Sebastian“ lautete der Titel eines Textes, den die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ im vergangenen November als offenen Brief von Ex-Profil-Chefredakteur Herbert Lackner an Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) veröffentlichte. Lackner analysierte darin, wie sehr sich Kurz von einem wirklich bemühten Integrationspolitiker zu einem Scharfmacher verwandelt hat. Schlussfolgerung: Er strebe „ungestüm nach höheren Weihen“.

Der „Falter“-Bericht, wonach man im Außenministerium nicht einmal davor zurückschreckte, eine Studie über islamische Kindergärten im Sinne des Ressortchefs zu verfälschen, wirkt wie eine Bestätigung für Lackners Ausführungen: Der heute 30-jährige scheint wirklich sehr, sehr „ungestüm“ unterwegs zu sein.

Bei Donald Trump waren „Fake News“  besonders in Wahlkampfzeiten in gewisser Weise „Good News“. 

Nun sollte man nicht davon ausgehen, dass Sebastian Kurz all das um einen Wahlsieg bringen wird. Es ist möglich, aber nicht sicher: Leute, die sich durch sein „Framing“ angesprochen fühlen, könnten über fragwürdige Vorgangsweisen hinwegschauen und sich über Kritik daran sogar empören. Man kennt das jedenfalls auch von Anhängern anderer Rechtspopulisten. Und man kennt das auch von Donald Trump: Gerade „Fake News“ waren in seinem Falle besonders in Wahlkampfzeiten in gewisser Weise „Good News“.

Zwischen dem US-Präsidenten und dem österreichischen Außenminister gibt es in der Sache jedoch einen riesengroßen Unterschied: Trump brauchte das, um erfolgreich sein zu können. Kurz hätte das sehr wahrscheinlich nicht nötig. Im Juni 2015 kam Sebastian Kurz im APA/OGM-Vertrauensindex auf einen Wert von 22. Damit ließ er alle anderen Regierungs- und Parteipolitiker ziemlich deutlich hinter sich. Im Juni 2017 kommt er auf einen Wert von 24. Im Grunde genommen hat sich also nichts verändert (auch seine Mitbewerber folgen nach wie vor mit Respektabstand).

„Wir haben zu wenig Willkommenskultur!“ Ein Satz, den man heute nicht mehr Kurz zuschreiben würde.

Sehr wohl verändert hat sich die Politik, die Kurz macht: Vor zwei Jahren noch hatte Integrationspolitik für ihn zwei Seiten. Nicht nur die Fremden machen Probleme, haben Rechte und Pflichten, sondern auch die „Einheimischen“. Ja, so Kurz damals: Es werde den Zuwanderern nicht immer leicht gemacht, „weil wir zu wenig Willkommenskultur haben““

„Wir haben zu wenig Willkommenskultur!“ Ein Satz, den man heute nicht mehr mit Kurz in Verbindung bringen würde. Mit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 und dem damit einhergehenden Aufstieg von Heinz-Christian Straches Freiheitlichen hat er solche Differenzierungen nämlich gestrichen. Integrationsprobleme verursachen demnach ausschließlich die Fremden. Und darunter eigentlich nur Muslime. Entsprechend auch die angeblichen Ergebnisse der Kindergartenstudie.

Die Kursänderung hat Kurz vorübergehend wohl mehr Zustimmung gebracht. Heute aber, da der Höhepunkt der Flüchtlingskrise überwunden ist und eine Unterkunft nach der anderen aufgelöst werden kann, wird das relativ – die Wirkung dieser Schwarz-Weiß- bzw. Gut-und-Böse-Politik ist kaum noch so groß, zumindest die Glaubwürdigkeit ist infrage gestellt. Siehe Kindergartenstudie.

 

>> dieSubstanz.at täglich. Gratis. >> Zum Newsletter

Könnte Sie auch interessieren

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner