ANALYSE. Der Kanzler ist erstmals Getriebener und muss deutliche Kurskorrekturen vornehmen. Dabei gibt er Macht und Kontrolle ab. Ob er damit fertigwerden kann?
Bei Christine Aschbacher ist etwas implodiert, was ohnehin schon dabei war, zu Ende zu gehen. Eine Politik nämlich, die sich auf die Verpackung konzentriert und Inhalte ignoriert. Eine Politik, der es allein um den Schein geht. Eine Politik, die in einer Jahrhundertkrise zum Scheitern verurteilt war: Österreich soll gut durch die Krise gekommen sein? Sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich und damit auch sozial ist das Land im internationalen Vergleich zurückgefallen. Nicht einmal wohlgesonnene Medien konnten das den Leuten verbergen. Nur noch ein Bruchteil ist mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Das Wort des Kanzlers zählt immer weniger. Sebastian Kurz hat das vor Weihnachten selbst erfahren müssen: Seinem Aufruf zum Massentest folgte gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung. Und dann auch noch dieses Impfchaos.
Alles in allem ist das wie ein akademischer Titel, der einen Namen schmückt, aber auf keiner Leistung beruht. Mit Aschbacher ist Kurz das indirekt, aber weithin sichtbar zum Verhängnis geworden: Natürlich, Diplomarbeit und Dissertation stammen nicht von ihm. Er aber hat überwiegend Leute um sich geschart, bei denen es nicht um fachliche Kompetenz geht, sondern darum, dass sie erstens ihm gegenüber loyal sind und ihn zweitens öffentlich strahlen lassen. Eigenständig denkende Expertinnen und Experten, die zu nötigen Widersprüchen in der Lage sind, sind in diesem Umfeld rar. Das liegt in der Natur der Sache.
Erst heute wird klar, dass sich der Kanzler in den vergangenen Wochen mehr und mehr genötigt sah, seine Methoden aufzuweichen. Als die Massentests mit geringem Zulauf starteten, trat er gemeinsam mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, einem Sozialdemokraten, die er sonst so verachtet, auf, um neuerlich zur Teilnahme aufzurufen. Nachdem deutlich geworden ist, dass eine Impfkampagne der Bundesregierung aufgrund ihrer Glaubwürdigkeitswerte kontraproduktiv wäre, lässt er sie nun im Rahmen von „Österreich impft“ vernünftigerweise an Medizinerinnen und Mediziner auslagern.
Und auf Aschbacher folgte kein höriger Parteisoldat, sondern der bisherige IHS-Chef Martin Kocher. Der 47-Jährige wird sich von der Message-Control-Abteilung des Kanzleramts schwer vorschreiben lassen, was er sagen darf und was nicht; oder was aus türkis-populistischen Gründen opportun ist und was nicht. Insofern ist seine Bestellung auch ein Zeichen für eine gewisse Macht- und Kontroll-Abgabe, zu der sich Kurz gezwungen sieht.
Der Kanzler müsse sich neu erfinden, mehr Wert auf Inhalte legen, stand vor einigen Tagen auf diesem Blog. Es gibt Signale, dass er dem Druck, es aufgrund der Krise auch zu tun, nachgibt. Es gibt aber auch Signale, dass er sich nicht weit genug ändern kann.
Wie in der Coronakrise ist Kurz nun auch beim Abgang von Aschbacher bemüht, von jeglicher Verantwortung abzulenken. Nicht nur sie ortete (in ihrer Rücktrittserklärung) keinen Fehler bei sich selbst, auch er vermied jegliches Eingeständnis. Es gipfelte in der Botschaft via ORF-ZIB1, sie sei ihm ursprünglich von der steirischen ÖVP als Arbeits- und Familienministerin aufgezwungen worden. Das ist doppelt lächerlich wie unglaubwürdig: Er selbst ist praktisch und statutarisch der mächtigste Parteiobmann seit Menschengedenken. Und: „Die weithin unbekannte Aschbacher kam (einst) zum Zug, weil sie Bundeskanzler ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gut ins Konzept passte“, wie die „Wiener Zeitung“ unlängst schrieb: Die Beiden hätten einander schon aus früheren Jahren gekannt. Das war seine Ministerin.
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