ANALYSE. Der Vizekanzler kann mehr denn je zeigen, wie ernst er es meint mit seinem Bemühen gegen Antisemitismus in der FPÖ. Zu den wenigen, die das übersehen, zählt der Kanzler.
Was der Historiker Oliver Rathkolb und der Schriftsteller Michael Köhlmeier zuletzt über Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gesagt haben, ist wirklich bemerkenswert: „Strache ist eine rätselhafte, aber gleichzeitig interessante Figur, er gehört zu den FPÖ-Funktionären, die aus dem aktiven Neonazi-Eck und einer ehemaligen Wehrsportgruppe kommen. Da führt kein Weg daran vorbei. Aber ich nehme Strache das wirklich ab: Ich glaube, es ist sozusagen eine merkwürdige Geschichte, dass er durchaus bereit war, weiter zu gehen, auch bei der Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ. Aber er ist auf Widerstand gestoßen“, sagte Rathkolb im „Standard“. Und Köhlmeier zollte Strache schließlich in der ZiB 2 Respekt: Während er selbst in seiner Rede vorige Woche vielleicht nicht feige gewesen sei, sei Strache in seiner Erklärung auf dem Akademikerball mutig gewesen. Zur Erinnerung: Dort distanzierte sich Strache von Antisemitismus. Auf Facebook schrieb er wenig später auch noch: „Die Verantwortung und das Gedenken an die Opfer des Holocaust sind uns Verpflichtung und Verantwortung in der Gegenwart und für kommende Generationen. Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen. Er ist nicht bei uns erwünscht.“
Will sich Strache als Vizekanzler und die FPÖ als Regierungspartei etablieren, muss er all die braunen Flächen aus ihr tilgen.
Alles in allem muss man natürlich Maß halten: Die FPÖ hat nach wie vor ein Antisemitismusproblem. Ausgerechnet unter Strache sind deutschnationale Burschenschafter in ihr aufgekommen wie wohl nie zuvor. Jetzt aber muss Strache reagieren: Will er sich selbst als Vizekanzler etablieren und seiner Partei internationale Akzeptanz bescheren, muss er all die braunen Flächen aus ihr tilgen.
Köhlmeier hat ihm da einen echten Dienst erwiesen: Seine Rede vor einer Woche war ganz brutal deutlich. Bei weitem nicht nur Linke und Regierungsgegner haben applaudiert. Es war viel eher eine (so gut wie) allgemein anerkannte Zustandsbeschreibung der FPÖ: Sie hat erst so richtig gezeigt, was Strache noch alles zu tun hat. Und er tut wieder ein bisschen etwas: In der rechtsextremen „Aula“ werde nicht mehr inseriert, verkündet er. Was wohl wieder viele in seinen eigenen Reihen schmerzen oder gar empören wird. Doch was wollen sie tun? Strache tut, was letztlich der FPÖ als Regierungspartei nützt.
Schon beim ÖVP-Sekretär wirkte das, als wolle man sich mit dem Koalitionspartner gegen den Schriftsteller solidarisieren.
Zu den wenigen, die das ganz offensichtlich nicht so sehen, gehört Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Wie schon sein Parteisekretär wehrt er sich gegen Köhlmeiers Hinweis, das es schon zu Nazi-Zeiten Menschen gegeben habe, „die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben“. Er macht sich gewissermaßen zum Opfer, indem er meint, dass diese Aussage „eindeutig auf Nazis und Nazi-Kollaborateure“ abziele.
Schon bei ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer, der gesagt hatte, Köhlmeier habe die Schließung der Balkanroute mit der Judenverfolgung verglichen, wirkte das, als wolle man sich mit dem Koalitionspartner gegen den Schriftsteller solidarisieren. Und zwar krampfhaft. Und im Übrigen widersinnig: Köhlmeier kann zurecht darauf verweisen, dass viele Länder, darunter die Schweiz, schon vor der Massenvernichtung kaum Juden aufgenommen haben. Ja, dass nicht einmal die von den USA initiierte Konferenz von Evian 1938 die Emigrationsmöglichkeiten aus Hitlers Machtbereich reel verbessert hat. Was von dieser Warte aus gesehen exakt null mit Nazis oder Nazi-Kollaborateuren zu tun hat.