ANALYSE. In der SPÖ dürfen Mitglieder entscheiden, wer die Partei künftig führen wird. Das ist eine Zäsur. Am Ende des Tages ist jedoch etwas anderes relevant.
Der Kanzlerkandidat oder die Kanzlerkandidatin kann durch eine Urwahl bestimmt werden. Wahlberechtigt sind sämtliche Mitglieder. Vielleicht hat sich der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil daran orientiert, als er eine Urabstimmung über den SPÖ-Vorsitz gefordert hat. Der Satz stammt aus dem Statut der deutschen Sozialdemokraten. Bei den österreichischen existiert kein vergleichbarer, bei ihnen ist es noch immer dem Parteitag vorbehalten, so wesentliche Entscheidungen zu treffen.
Das kann man so oder so sehen: Negativ in dem Sinne, dass Spitzenfunktionären so eher die Kontrolle bleibt. Oder positiv in dem Sinne, dass es so vielleicht eher möglich ist, gewisse Richtungen, die gut begründet sind, einzuschlagen und zu halten. Es kommt nicht so sehr darauf an, welcher Kandidat, welche Kandidatin bei den Leuten einfach nur besser ankommt; bloßen Blendern, Populisten und Stimmungsmachern wird es schwerer gemacht.
Genau genommen hat Doskozil nun erreicht, dass es zu einer Mitgliederbefragung kommt. Und zwar darüber, ob Rendi-Wagner bleiben oder er übernehmen soll. De facto wird das Ergebnis für die Delegierten eines nachfolgenden Parteitags jedoch bindend sein; die Delegierten werden es bestätigen, womit sie oder er dann formal gewählt sein wird.
Das ist eine Zäsur. Der Parteitag folgt nicht mehr Spitzenfunktionären wie den Länderchefs, sondern Mitgliedern. Nicht nur für die SPÖ kommt das einer kleinen Revolution gleich, sondern letzten Endes auch für die beiden anderen größeren Traditionsparteien: Sowohl die ÖVP als auch die FPÖ, die immer wieder gerne von Bewegung, Beteiligung und direkter Demokratie reden, werden dem Beispiel wohl folgen müssen. Auch bei ihnen entscheidet die Führung – was bei den Freiheitlichen besonders bemerkenswert ist, behaupten Herbert Kickl und Co. doch immer, kleinen Leuten gegenüber Eliten zum Durchbruch verhelfen zu wollen.
Innerparteiliche Demokratie ist kein Selbstzweck. Damit gehen wie erwähnt auch Risiken einher. Besonders für die SPÖ: Wie sie sich positionieren müsste, erscheint ziemlich klar. Ähnlich wie es Bundespräsident Alexander Van der Bellen gelungen ist, müsste sie als Alternative zu Rechten (womit der Standort gemeint ist) in einer breiten Mitte ankommen; also durchaus auch Bürgerliche ansprechen. Van der Bellen hat sich dazu bemüht, den Heimatbegriff neu zu definieren sowie für Weltoffenheit und Rechtsstaatlichkeit zu stehen. Im Übrigen könnte man Anleihe bei der solidarischen Hochleistungsgesellschaft nehmen, von der Alfred Gusenbauer einst gesprochen hat. Oder beim Plan A von Christian Kern, der die SPÖ – gegen die damalige Sebastian-Kurz-ÖVP und die Heinz-Christian-Strache-FPÖ – im bürgerlichen Innsbruck bei der Nationalratswahl 2017 immerhin auf Platz eins geführt hat. 30 Prozent wären so bundesweit allemal zu holen.
Eine deutliche Positionierung links der Mitte würde sich verbieten: Zum einen würde das in Österreich zu wenig Zuspruch bringen. Zum anderen würde es die Grünen schwächen. Und die SPÖ braucht starke Grüne, aber auch Neos, um zumindest die Option zu haben, eine Ampelkoalition bilden zu können.
Die Frage ist nun freilich: Wie sehr werden Doskozil und Rendi-Wanger im Werben um die Stimmen von SPÖ-Mitgliedern dem gerecht werden? Wie sehr können sie es, um sich durchzusetzen? Beziehungsweise: Werden solche Überlegungen auch für die Mitglieder relevant sein? Das ist völlig offen. Andererseits: Rendi-Wagner hat als Vorsitzende bisher ebenfalls nicht erkennen lassen, dass derlei relevant wäre für sie; genauso wenig wie es ihr Unterstützer, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, getan hat. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Partei in Umfragen dort liegt, wo sie sich befindet – abgeschlagen hinter der FPÖ und nur noch knapp vor der ÖVP.