Kickls Viertel

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef nimmt den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Anlass, eine Minderheit zu pflegen, die ihm zu einer relativen Mehrheit verhelfen kann.

FPÖ-Chef Herbert Kickl steht auf der falschen Seite der Geschichte. Massiv ist seine Kritik daran, dass die österreichische Staatsspitze diesen Montag (voraussichtlich) den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Wien empfangen wird. „Es ist unverantwortlich, gerade jetzt, wo viele Seiten um Friedensgespräche bemüht sind, dem Präsidenten eines im Krieg stehenden Landes eine Bühne zu geben“, schäumt er: „Das ist nicht nur ein außenpolitisches Foul, sondern macht Österreich im Falle einer Eskalation auch noch zur möglichen Zielscheibe.“

Da ist es wieder: Kickl stellt Russland und die Ukraine auf eine Ebene. Im EU-Wahlkampf vor einem Jahr haben er und seine Leute der Europäischen Union sogar „Kriegstreiberei“ vorgeworfen. Und auch jetzt tut er so, als verpflichte die Neutralität Österreich, beide Seiten gleich zu behandeln. Was in Wirklichkeit eine Verleugnung des russischen Angriffskriegs ist, ja eine Verdrehung, die aus dem Opfer (Ukraine) einen Täter macht.

Für einen Mann, der vorgibt, die Position „der Volkes“ einzunehmen, ist das auch in dieser Hinsicht bemerkenswert: Es handelt sich um den Standpunkt einer Minderheit. Bei der jüngsten Eurobarometer-Erhebung haben sich 72 Prozent von 1000 befragten Menschen hierzulande dafür ausgesprochen, dass die EU die Ukraine so lange unterstützt, bis dauerhaft gerechter Friede herrscht. 71 Prozent stimmen den Sanktionen zu und sogar 56 Prozent der Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Auffallend: Gegenüber dem Vorjahr hat der Zuspruch zugenommen. 53 Prozent begrüßen im Übrigen, dass der Ukraine einen Kandidatenstatus für einen EU-Beitritt hat.

Zu behaupten, dass Kickl das alles nicht gefallen könne, wäre einerseits zynisch und andererseits naiv: Es ist ihm selbstverständlich bewusst, dass er nur eine Minderheit hinter sich hat. Es geht jedoch um das freiheitliche Geschäftsmodell: Jörg Haider hat die FPÖ einst auf „Anti-EU“ umgepolt, nicht weil er glaubte, damit eine Mehrheit zu erreichen, sondern weil er sich ausrechnete, dass er eine Minderheit ziemlich exklusiv für sich hat.

Genau ein Viertel hat bei der Eurobarometer-Erhebung im März und April angegeben, die EU mit Negativem zu assoziieren. Ein Viertel lehnt die Sanktionen gegen Russland ab und ein Viertel ist auch dagegen, die Ukraine zu unterstützen, bis dauerhaft gerechter Friede herrscht. Waffenlieferungen und den EU-Kandidatenstatus für das Land werden sogar von 42, 43 Prozent abgelehnt.

Aber bleiben wir bei dem Viertel: Es ist die Basis, auf die sich Kickl konzentriert und die Grundlage dafür ist, dass die FPÖ derzeit relativ stärkste Partei sein kann. Zumal sich ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos die übrigen drei Viertel quasi teilen.

Das gilt auch für andere Themen: Immerhin 76 Prozent der Österreicher sind zum Beispiel dafür, dass Flüchtlingen geholfen wird. Ein schwaches Viertel ist aber dagegen und diesen Menschen bietet sich die FPÖ allein an – gerade unter Kickl, der auch Rechte, wie sie sich etwa aus der EMRK ergeben, ablehnt.

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