Kickl trägt (zu) dick auf

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ANALYSE. Der Mann redet schon vor Beginn der Regierungsverhandlungen von Neuwahlen. Das war ein Fehler.

Der geschäftsführende ÖVP-Obmann Christian Strocker hat das Beste aus der Situation gemacht: Alle gehen zurecht davon aus, dass er froh sein muss, wenn seine Partei von Herbert Kickl (FPÖ) als Juniorpartnerin in eine Regierung gelassen wird. Muss er das jedoch zeigen?

„Jetzt erst recht nicht“, mag er sich gedacht haben, nachdem er von Kickl zu einem ersten Gespräch eingeladen wurde. Aber wie: Er, Stocker, habe zu akzeptieren, was von ihm verlangt werde, einzugestehen, dass er nur Zweiter sei und die ÖVP in den vergangenen Jahren unglaublich viel Mist gebaut habe etc. Sonst komme es zu Neuwahlen.

Hier hat einer (Kickl) aus einer verdammt starken Position heraus gesprochen, der noch dazu autoritäre Züge aufweist. Ein Urnengang am kommenden Sonntag wäre traumhaft für ihn. Einerseits. Andererseits hat er das zu offen gezeigt.

Als es in der österreichischen Politik noch mehr Profis gab, die Regierungsverhandlungen inszenierten, die quasi vor laufenden Kameras mehrere Nächte lang durchkämpften, von Schwierigkeiten berichteten und dann doch noch einmal weitermachten, die es verstanden, die Dinge öffentlich wahrnehmbar so weit zu treiben, dass für eine Masse auch aus der Entfernung klar zu sein schien, warum es zu keiner Einigung kommen konnte, in dieser Zeit war der Begriff „Neuwahlen“ tabu. Wenn er gefallen ist, waren sie fix.

Möglicherweise ist das von der Wirkung her noch immer so, hat Kickl einen Fehler gemacht oder ist zumindest ein sehr, sehr großes Risiko eingegangen. Die Art und Weise, wie er Stocker zu Verhandlungen eingeladen hat, war jedenfalls auch befremdlich: Sie kann einzig und allein seinen Fans gefallen haben. „Jetzt demütigen wir die Schwarzen aber, jawohl!“

Abgesehen davon teilte hier jedoch ein Möchtegern-Volkskanzler dem Volk mit, dass es entweder voll nach seiner Pfeife läuft oder er für einen Urnengang sorgen werde: Wer bitte glaubt, so im 21. Jahrhundert eine absolute Mehrheit erreichen zu können, ob bei Wahlen oder mit einem Koalitionspartner, den er so nicht finden kann?

Es ändert zunächst nichts daran, dass Stocker in einer misslichen Lage ist. Er ist aber Profi genug, das Ganze zu durchschauen und ein Pokerface aufzusetzen. Auch für ihn sei alles offen. Er spielt mit und nennt ebenfalls Bedingungen. Bekenntnis zu Europa, Absage an Russland, Medienfreiheit etc. Genüsslich lädt er Journalisten ein, Fragen zu stellen. Gerne auch kritische. Bei Kickl waren am Vortag gar keine erlaubt gewesen.

Natürlich muss Stocker nach wie vor auf eine Koalition hoffen, wird er weitreichende Zugeständnisse machen müssen. Was hier läuft, ist jedoch bei weitem nicht so klar, wie es wirkt: Kickl spricht noch vor Beginn von Verhandlungen von Neuwahlen. Wenn er so weitermacht, wird es nichts mit 35 oder gar 40 Prozent, endet es eher wie bei Wolfgang Schüssel (ÖVP) 1995 ohne großen Sieg: Die meisten Wählerinnen und Wähler erwarten sich, dass er arbeitet, nicht gleich von Wahlen redet. Damit zeigt er lediglich, dass es ihm nicht ums Land, sondern ausschließlich um sich und seine Partei geht.

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