ANALYSE. Der FPÖ-Chef mag von einer Mehrheit abgelehnt werden, entwickelt sich jedoch zu einer Bedrohung für die Demokratie.
Vor ein paar Jahren hätte man bei Ereignissen wie jetzt in Israel gesagt, derlei stärke auch hierzulande Regierende bzw. besonnene Kräfte. Heute gilt das nicht mehr: Regierende sind in zu großen Teilen der Bevölkerung unten durch, eine deutliche Mehrheit misstraut Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und findet, dass das politische System nicht mehr gut funktioniere. Es gibt zudem eine wachsende Sehnsucht nach einem „starken Mann“ (vgl. SORA-Demokratiemonitor). Zweitens: Die Vielzahl an Krisen und Kriegen führt zu einem Rückzug; immer mehr Menschen wenden sich ab bzw. einer vermeintlich guten alten Welt zu.
Das alles spielt FPÖ-Chef Herbert Kickl in die Hände: Er tourt in diesem Herbst durch Österreich und lässt auf seinen Events „Volkskultur“ mit Trachten und Volksmusik sowie altem Handwerk, wie Messerschleiferei, pflegen. Für nicht wenige Leute ist das eben etwas, was sie gerade jetzt suchen. Im Übrigen bietet sich Kickl an, Regierende (die er gerne als „Eliten“ bezeichnet) zu treten und mit dem politischen „System“ aufzuräumen. Das passt alles zusammen.
Als „Volkskanzler“ mag Kickl noch immer nur eine Minderheit ansprechen. Vielleicht 25, 30 Prozent. In Verbindung mit einer weiteren Entwicklung sollte man das jedoch nicht kleinreden: Es läuft eine Fragmentierung von Gesellschaft und Politik, sodass 25, 30 Prozent für Platz eins reichen können. Und: Mit der ÖVP gibt es eine Partei, die seit Sebastian Kurz dazu neigt, Freiheitliche zu kopieren. Ergebnis: De facto ist eine absolute Mehrheit für ihre Inhalte vorhanden.
Es ist wichtig, das zu sehen, weil Kick nicht einfach Rechtspopulismus betreibt, sondern antritt, demokratische durch autoritäre Verhältnisse zu ersetzen. Das ist ein Prozess. Und: Er lässt sich auch gegen zunächst mögicherweise sehr starke Institutionen organisieren. Dann nämlich, wenn man sie beharrlich beschädigt.
Indem sich Kickl als „Volkskanzler“ anbietet, verrät er das Amtsverständnis, das er als Bundeskanzler hätte: Er würde unterstellen, dass es immer nur einen einzigen Volkswillen gibt und sich anmaßen, diesen zu kennen; er würde sich schließlich ermächtigen, diesen umzusetzen, weil es ja dem Souverän entspreche. Natürlich: Zur Umsetzung bräuchte er noch immer ein Parlament. Nichts leichter jedoch als das. Schon heute sehen sich Regierungsfaktionen bloß als Erfüllungsgehilfen „ihrer“ Regierung. Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Aber das ist eine andere Geschichte,
Zu den relevanten Institutionen zählen Medien. Hier sollte man sich über nichts mehr wundern. Kickl sieht es längst nicht mehr als seine Pflicht an, sich (kritischem) Journalismus zu stellen. Er kommt mehr und mehr Interviewanfragen ganz einfach nicht nach. Und jetzt ließ er den ORF-Satiriker Peter Klien, der ihm auf einer Veranstaltung nahegekommen ist, durch einen Security im Schwitzkasten entfernen. Das entspricht dem Stil, den auch die freiheitliche Jugend pflegt, die in einem Video bekannte Wissenschaftlerinnen und Journalisten als eine Art unerwünschte Persönlichkeiten darstellt, gegen die vorzugehen ist.
Es wirkt widersprüchlich: Ausgerechnet der „Volkskanzler“ agiert so. In Wirklichkeit ist es aber nur eine Bestätigung des bereits erwähnten Amtsverständnisses. Kickl kommuniziert über seine eigenen Kanäle. Dort kann er seine „Community“ bei Laune halten, wie es ihm gefällt. Missliebige Wissenschaftlerinnen und Journalisten zählen in seinen Augen ebenfalls zum „System“, das er treten möchte.
Der „Volkskanzler“ ist bekanntlich auch der Meinung, dass Recht der Politik zu folgen hat. Das ist ein Angriff auf Gerichte, wie er unter extrem Rechten nicht ungewöhnlich ist. In Italien hat ein Gericht in Catania gerade ein Urteil im Sinne von Geflüchteten gefällt, dass von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als „unglaublich“ abgetan worden ist. Ihr Stellvertreter Matteo Salvini verbreitete auf sozialen Medien schließlich ein Video, in dem die vorsitzende Richterin von Catania vor mehreren Jahren auf eine Demonstration gegen den Flüchtlingspolitik der damaligen Regierung zu sehen ist. Sie sollte so als befangen dargestellt und diskreditiert werden. These: So etwas wirkt. Vielleicht nicht im Fall dieser einen Richterin, aber bei vielen Richterinnen und Richtern. Es sorgt für ein Klima, das dazu beiträgt, es sich lieber zweimal zu überlegen, Regierenden zu missfallen.