ANALYSE. Mit knapp 30 Prozent scheint der FPÖ-Chef das Potenzial für seine Partei schon seit einem halben Jahr ausgereizt zu haben. Er hat sich zu viel Ablehnung erarbeitet.
Bei der kommenden Nationalratswahl wird die FPÖ von Herbert Kickl eher nur gewinnen können. Gemessen werden wird sie zunächst schließlich an den 16,2 Prozent, die sie beim letzten Mal infolge der Ibiza-Affäre erreicht hat. Doch wird die Partei auch weit vorne auf Platz eins landen können?
Kickl bemüht sich, dafür zu sorgen. So macht er dem neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler nicht den Gefallen, über Verteilungsfragen zu reden und angesichts sinkender Asylzahlen auf das Thema Migration zu vergessen. Im Gegenteil, er forciert es und startet eine „Werbetour für eine Festung Österreich“, wie ORF.AT berichtet. Am 30. Juni solle es eine Kundgebung vor einen Flüchtlingsquartier im steirischen Leoben geben, tags darauf sei ein bundesweiter Aktionstag geplant.
Kickl weiß: Reale Problemlagen müssen politisch nicht relevant sein. Politisch relevant kann auch sein, was zum Problem erklärt wird. Und beim Thema Migration hilft ihm die ÖVP dabei insofern, als sie sich im Ringen um dieselben Wähler:innen treiben lässt von ihm. Sie setzt Migration ebenfalls auf ihre Agenda, spielt also eine Verstärkerin. Schaut man sich die Reiseziele von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an, könnte man fast glauben, es gebe keine Energiekrise und auch kein Problem mit der Teuerung, sondern ausschließlich eines mit unkontrollierbaren Wanderungsbewegungen.
Trotzdem scheint Kickl an seinen Grenzen angelangt zu sein. Anders formuliert: Es gibt Hinweise darauf, dass er das Potenzial für die FPÖ weitgehend ausgeschöpft hat. Seit gut einem halben Jahr hält sie im Durchschnitt der Umfragen ziemlich konstant 28 Prozent. Natürlich: Stand heute könnte sich unter seiner Führung eine Koalition mit der ÖVP oder theoretisch auch mit der SPÖ ausgehen, könnte er also Bundeskanzler werden. Es macht aber einen Unterschied, ob die FPÖ 28 oder 38 Prozent erreicht (wie die ÖVP mit den 37,5 Prozent gerundet vor vier Jahren) und dann mit einem deutlich kleineren oder einem ähnlich großen Partner konfrontiert ist.
Vor allem aber sind die 28 Prozent seit einem halben Jahr bemerkenswert, weil sich ja sonst einiges geändert hat. So hat die SPÖ stark an Zuspruch verloren, hat die ÖVP leicht zulegen können, die FPÖ aber eben nichts mehr davon gehabt. Das ist insofern nicht bedeutungslos, als es nun für die SPÖ durch Andreas Babler zu weiteren Veränderungen kommen könnte; in welche Richtung auch immer.
Die Sache mit dem ausgereizten Potenzial wirft die Frage auf: Steckt Kickl in einer Polarisierungsfalle? Scheint so. Er legt es darauf ja an, zu spalten. Jüngste Personalentscheidenden in der SPÖ hat er gerade als „Steißgeburt“ bezeichnet, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) schon einmal als „Öko-Hexe“.
Er macht sich gezielt Gegner, um Anhänger umso stärker an sich zu binden. Das geht auf. In einer aktuellen „Gallup“-Erhebung wird keine Parlamentspartei von so vielen Befragten als „sehr positiv“ bezeichnet wie die FPÖ mit 13 Prozent. Aber: Bei der Summe der Angaben von „sehr“ und „eher positiv“ liegt die FPÖ gleichauf mit der ÖVP hinten. Schlimmer für sie: 62 Prozent bezeichnen sie als „eher“ oder „sehr negativ“. Damit erntet sie auch die größte Ablehnung.
Diese Befragung mit 1000 Teilnehmer:innen wurde Ende Mai, Anfang Juni durchgeführt. Schon im Winter hat das OGM-Institut für den Vertrauensindex der APA etwas erhoben, was daran erinnert: Nach Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist Kickl der österreichische Politiker, dem das größte Misstrauen entgegengebracht wird. 73 Prozent gaben an, ihm kein Vertrauen zu schenken.
Bis dahin konnte Kickl das wegstecken: Wichtiger war für ihn, dass die bescheidenden 25 Prozent, die ihm vertrauen, das umso stärker tun. Im Sinne der Polarisierung. Es reichte vor allem, die FPÖ aus dem Keller zu führen, in den sie 2019 gestürzt ist. Jetzt aber wird es zu einer Potenzialbegrenzung.