ANALYSE. Österreichische Coronapolitik ist inklusive Impfpflicht geprägt von Angst vor der FPÖ. Und die MFG-Liste ist vergessen.
Österreich ist anders. Es vergisst, was FPÖ-Chef Herbert Kickl über Demonstrierende gesagt hat, die mit Schildern „Impfen macht frei“ oder einem gelben Stern auf der Brust gegen Coronapolitik auftreten: „Das ist eine Kritik am Nationalsozialismus und überhaupt nichts anderes.“ Dabei ist das noch nicht einmal ein Monat her. Es vergisst auch, dass Kickl selbst zum Beispiel von Totalitarismus spricht und ankündigt, sich der gesetzlichen Impfpflicht zu widersetzen. Dabei hat er das erst gestern im Hohen Haus getan. Also ist all das normal, also hat er gewonnen.
In Deutschland, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (erfreulicherweise) betont, dass mit einer Impfpflicht auch eine Debattenpflicht einhergehe, ist man konsequenter. Im Plenum des dortigen Parlaments gilt etwa eine 2G-Plus-Regelung. Nur noch Genesene und Geimpfte mit einem aktuellen Schnelltest dürfen hinein. Dass das zu Protesten bei der AfD führen würde, war zu erwarten. Zahlreiche Abgeordnete der Partei, die sich als Speerspitze von Coronaleugnern und Maßnahmengegnern zu behaupten versucht, sind weder genesen noch geimpft. Sie können Sitzungen von ihrem Büro aus verfolgen oder sich mit einem Platz auf der Galerie begnügen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Die Regelung wird „knallhart“ durchgezogen, ein paar AfDler bemühten sich, sich als Opfer zu inszenieren, unterm Strich ist das Ganze laut einer „Tagesspiegel“-Analyse aber zu einem Problem für die Partei geworden. Sie ist gespalten in der Defensive.
Herbert Kickl hat sich gezielt ins Abseits begeben, für ihn aber ist das ein Erfolg: Zum einen hat er es geschafft, die 20, 25 Prozent, die Corona-Maßnahmen und die Regierung ablehnen, die eine Verschwörung gegen „das“ Volk wittern und dabei auch vor Antisemitismus nicht zurückschrecken, praktisch zur Gänze für sich und die Freiheitlichen zu vereinnahmen. Er ist Kopf dieser Masse.
Das ist unbezahlbar für ihn. Im vergangenen Herbst war in Folge der oberösterreichischen Landtagswahl von einer MFG die Rede. Bei dem Urnengang hatte sie sechs Prozent geschafft. Das sollte erst der Anfang sein. Weitere Erfolge wurden erwartet, Umfragen stützten dies. Mittlerweile ist es ruhig geworden um die Impfgegnerliste. Es gibt sie noch, sie wird da und dort noch Aussicht auf ein paar Prozentpunkte haben, ihre Schwäche aber ist, dass sie keinen Kopf hervorgebracht hat, der mit ihr in Verbindung gebracht wird. Und vor allem, dass Kickl ihre Politik wirkungsvoller denn je betreibt.
Das Problem ist, wie sehr man ihn gewähren lässt. Warum? Weil er bundesweit eine Klientel anspricht, die auch für ÖVP und Teile der SPÖ (z.B. im Burgenland) relevant ist. Man will diese Klientel nicht verstören, indem man eine harte Auseinandersetzung mit Kickl und zu Dingen führt, die er anspricht.
Die Arbeitsrechtlerin Katharina Körber-Risak hat Verhängnisvolles, was damit einhergeht, unter dem Titel „Letzte Waffe Impfpflicht“ in einem Gastkommentar in der Tageszeitung „Der Standard“ gestreift, aber getroffen. Zitat: „Die Regierung hat sich der Angst vor dem politischen Gegner FPÖ beziehungsweise MFG ergeben und damit ihre Verantwortung, sich zum Wohl der Bevölkerung aktiv hinter die Impfung zu stellen, aufzuklären und zu überzeugen schlicht nicht wahrgenommen. Das macht die Impfpflicht jetzt nicht falsch und auch nicht verfassungswidrig, aber sie wäre wohl vermeidbar gewesen.“
Beziehungsweise ist die Impfpflicht jetzt auch vor diesem Hintergrund so, wie sie ist: Ein bisschen Zuckerbrot, ein bisschen Peitsche, die letztlich aber niemandem wehtun soll. Nicht einmal Leuten wie Kickl, die sich nicht impfen lassen wollen. Im Ö1-Morgenjournal vom 20. Jänner kündigte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) an, dass man Pech haben müsste, die maximal möglichen viel Mal kontrolliert und damit allenfalls auch bestraft zu werden. Das war eine Relativierung des eigenen Vorhabens, die für die erwähnte Klientel wohl beruhigend wirken sollte; ja geradezu eine Einladung, auf vermeintliches Glück zu setzen.
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