Kein Handabhacken

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ANALYSE. Die Scharia-Diskussion steht für so vieles: Der Boulevard schürt Empörung, der rechte Flügel der österreichischen Politik entspricht ihr.

Es geht immer darum, wie eine Geschichte aufgezogen wird. Das ist entscheidend. Was im dritten, vierten oder fünften Absatz steht, hat so gut wie keine Wirkung mehr. Zu tief sitzt da schon, was Leserinnen und Lesern bis dahin vermittelt wird. „Hammer-Urteil“, brüllte die Gratiszeitung „Heute“ am Montag etwa: „Die Scharia gilt auch in Österreich.“

„Die“ Scharia, wohlgemerkt. Die „Presse“ hatte zunächst darüber berichtet und „Heute“ gab das (wie andere Medien) wieder: Zwei Männer hatten für den Fall einer Streitigkeit vereinbart, zu akzeptieren, was ein Schiedsgericht auf Basis islamischer Rechtsvorschriften entscheidet. Es kam zum Streit, einer der beiden wurde auf besagter Basis zur Zahlung von 320.000 Euro verdonnert und so weiter und so fort. Am Ende hat das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen geurteilt, dass das okay ist.

Schlussfolgerung „Heute“: „Die Scharia gilt auch in Österreich.“ Weiter untern teilt sie dann zwar mit, warum sie bzw. ein Teil davon das in der einen Hinsicht tut: „Das Ergebnis des Schiedsgerichts widerspreche nicht den österreichischen Grundwertungen. Und nur das sei ausschlaggebend.“ Dafür werden Leserinnen und Leser, die bis dahin so sehr empört worden sind, aber kaum noch empfänglich sein. Und im Übrigen wirft es die Frage auf: Wie kann man vor diesem Hintergrund die Geschichte so aufziehen?

Behauptung: Nur so bringt sie Klicks. Im Übrigen entspricht es dem, womit sich im Zusammenspiel mit Rechten und Rechtspopulisten Politik machen lässt. Freiheitliche haben laut „Heute“ umgehend von einer schleichenden Vereinnahmung „unsers“ Rechtsstaates durch den Islam gesprochen. Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) lege nach: „Die Scharia-Regeln gehören nicht nach Österreich.“

Ja, FPÖ-Chef Herbert Kickl wolle noch weitergehen, berichtet die Zeitung: In einem Instagram-Posting fordere er die „Systemparteien“ auf, ihre „Blockadehaltung“ aufzugeben. Was allein schon nicht korrekt wiedergegeben ist. Journalistisch korrekt wäre: Kickl bezeichnet andere Parteien als „Systemparteien“ und wirft ihnen „Blockadehaltung“ vor. Das ist ein Unterschied: Es würde nicht wirken als sehe man das auch so. Aber sei’s drum: Kickl wolle „ganz gezielt“ die implizite Anerkennung und Anwendung der Scharia durch österreichische Behörden und Gerichte verunmöglichen.

Bedarf dafür sieht auch ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti: „Die Anwendung von Regelungen, die beispielsweise Frauen zu Menschen zweiter Klasse degradieren würden, darf auf keinen Fall toleriert werden“, schreibt er in einer Aussendung zum Urteil, in dem es um etwas ganz anderes geht.

Man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, was das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen festgestellt hat, so sehr verselbstständig sich hier Politik, die sich vom Boulevard treiben lässt und dann versucht, geschürten Stimmungen zu entsprechen: Der Schiedsspruch verstoße nicht gegen österreichische Grundwertungen.

Auch insofern ist das Ganze wirklich „dümmlich“, wie der Rechtswissenschaftler Ralph Janik auf „Bluesky“ meint: Man müsse nur einen einzigen Paragraphen kennen, um das zu sehen. „Nein, kein Handabhacken, Steinigen oder einseitiges Verstoßen von Ehefrauen in Österreich“, im Internationalen Privatrecht heiße es ausdrücklich (§6): „Eine Bestimmung des fremden Rechts ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist.“ Punkt.

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