Kein Gegner für Kickl

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef wäre mit einem Regierungsbildungsauftrag zum großen Verlierer geworden? Es ist furchtbar naiv, das anzunehmen. Eher hätte er Karl Nehammer vorgeführt.

Die Annahme hält sich hartnäckig und gehört daher widerlegt: Es gibt nach wie vor sehr viele Menschen, die der Überzeugung sind, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsbildungsauftrag Herbert Kickl als dem Chef der größten Partei hätte geben müssen. Dabei handelt es sich nicht nur um Menschen, die blau gewählt haben. Oder um Leute, die meinen, es gebe eine Art Mehrheitswahlrecht, bei dem der relativ Stärkste quasi die absolute Macht erhalte. Es handelt sich auch um Männer und Frauen wie Christopher Drexler und Johanna Mikl-Leitner, die unterstellen, dass Kickl dann nie zu einer Märtyrer-Rolle gekommen, sondern sichtbar groß gescheitert wäre.

Wirklich? Eher hätte Herbert Kickl Karl Nehammer sichtbar groß vorgeführt. Der ÖVP-Chef, der eine Zusammenarbeit ausschließt, hätte sich Verhandlungen nicht entziehen können. Schlimmer: Kickl ist nicht dumm, wird von politischen Mitbewerbern offenbar aber noch immer unterschätzt. Ein Drama.

Im Wissen, dass man ihn scheitern lassen möchte, hätte er zum einen also Dinge thematisiert, die die Volkspartei alt ausschauen lassen und zum anderen Forderungen präsentiert, die populär sind und die die ÖVP nie hätte ablehnen können, zumal sie sehr ähnliche Zielgruppen umwirbt wie er.

Sehr wahrscheinlich wäre Kickl zunächst zu einem Kassasturz geschritten, bei dem deutlicher als jetzt bei den türkis-rot-pinken Gesprächen herauskommt, dass Türkise mit ihrem Finanzminister Magnus Brunner die Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten schlicht belogen („kein Sparpaket notwendig“) und einen katastrophalen budgetären Zustand zu verantworten haben.

Natürlich wäre Kickl dann nicht zu einem Sparpaket geschritten. Zumal er es mit EU-Regeln nicht so genau nimmt und es ohnehin mehr und mehr Euro-Staaten (wie Frankreich!) gibt, die viel weiter davon abweichen. Stattdessen  hätte er die Devise ausgegeben, dass man zuerst einmal die Konjunktur in Schwung bringen müsse.

Kickl hätte also ein Entlastungspaket für die Wirtschaft vorgelegt. Inklusive Bürokratieabbau und KÖSt-Senkung. Nehammer hätte das nicht ablehnen können. Und er hätte auch nicht EU- oder Russland-Ukraine-Fragen hernehmen können, um zu einer Absprungmöglichkeit zu kommen: Das Image der EU ist auch durch Zutun der ÖVP ramponiert in Österreich, und eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Krieg, der ganz Europa bedroht, findet nicht statt hierzulande. Damit wäre das Verständnis dafür, dass eine Koalition an solchen Fragen scheitern soll, in erheblichen Teilen der Bevölkerung denkbar klein gewesen.

Im Übrigen hätte Kickl etwa eine Ausweitung der direkten Demokratie mit einer Art „Volksgesetzgebung“ sowie Bekanntes zu Asyl und Migration vorgelegt, zu dem Nehammer erst recht schwer Nein sagen hätte können, vertritt seine Partei seit Sebastian Kurz in wesentlichen Zügen doch Identisches: „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ etc.

Mit einem Satz: Nehammer oder sonst jemand aus den Reihen der ÖVP wäre kein Gegner gewesen für Kickl, bei dem dieser befürchten hätte müssen, zu verlieren. Durch so vieles wären sie geschwächt gewesen. Durch ihren Ausflug in den Rechtspopulismus haben sie sich eine Wählerschaft gebildet, für die Blau-Türkis naheliegend wäre. Durch ihre Koalitionen in bald fünf Bundesländern haben sie das bestätigt.

Und durch seine Unfähigkeit, zu einem festen Standpunkt in der Mitte zurückzufinden, trägt Nehammer ein Übriges dazu bei: Am Wochenende lief er in Paris Donald Trump-Freund Elon Musk über den Weg, ließ sich mit diesem fotografieren, um ihn hinterher auf dessen Plattform X wissen zu lassen, dass diese einen wertvollen Beitrag zu Rede- und Meinungsfreiheit leiste. Ausgerechnet X, das von Elon Musk zugrundegerichtet worden ist: So viel Zynismus hätte auch von Kickl stammen können.

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