ANALYSE. Die wachsende Budgetmisere wird zu einem relevanten Wahlkampfthema. Nicht allen wird`s gefallen.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) versuchte die Frage zur Budgetmisere in der ZIB2 schnell, schnell abzuhandeln: Man stehe deutlich besser da als viele andere in der EU. Ein Sparpaket werde nicht notwendig, es brauche umsichtiges Vorgehen, damit Investitionen und Mehreinnahmen stattfinden.
Das ist zu einfach. Der Fiskalrat und das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO sehen das anders. Und ein Blick in den aktuellen Budgetvollzug des Bundes lässt ebenso schlimmes befürchten wie eine Studie zur finanziellen Lage von Ländern und Gemeinden: Der Bund allein machte heuer von Jänner bis Mai ein Defizit von 10,2 Milliarden Euro; es war damit um 4,4 Milliarden Euro größer als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Gründe: Zeitversetzt lässt die Inflation nicht mehr so sehr Einnahmen, sondern Ausgaben steigen. So macht sich die Anpassung der Pensionen mit 1. Jänner bemerkbar. Bei Ländern und Gemeinden ist das Problem, dass ihre Ertragsanteile seit Abschaffung der kalten Progression erst recht nicht mehr ausreichen. Ihnen machen etwa Personalkosten zu schaffen, zumal ja auch die Gehälter an die Teuerung angepasst worden sind.
Das Beunruhigende ist nicht die Budgetmise. Sie wäre bewältigbar. Das Beunruhigende ist, dass sie nicht ernstgenommen wird. Siehe Nehammer. Oder FPÖ-Chef Herbert Kickl, der sich zwar freut, einen „Beweis“ mehr zu haben, dass Türkise angeblich unfähig seien, aber keinen ernstzunehmenden Beitrag zur Lösung des Problems liefert.
Das ist kurzsichtig: Schon lange nicht mehr haben Leute wie Christoph Badelt (Fiskalrat) und Gabriel Felbermayr (WIFO) so deutlich gesagt, was ist und damit Wahlkampfstrategien durchkreuzt: Für Wohlfühlprogramme wird kein Platz sein, für Worthülsen wie Hausverstand oder umsichtiges Vorgehen ebenso wenig – zumal laut Badelt und Felbermayr ausgabenseitige Sofortmaßnahmen nicht ausreichen werden, sondern auch Steuererhöhungen notwendig sind. Felbermayr schlägt etwa eine Mineralölsteuererhöhung vor.
Das wird mit ÖVP und FPÖ nicht gehen. Will sich Nehammer von Kickl unterscheiden, wird er umso mehr belastbare Vorschläge für Alternativen machen müssen. Immerhin will er ja um das Vertrauen werben, Österreich gut durch schwierige Zeiten zu führen. Also: Wo soll bei Ländern und Gemeinden, wo beim Bund angesetzt werden?
In der Sache glaubwürdiger sind – mit konträren Ansätzen – Sozialdemokraten und Neos. Beziehungsweise Andreas Babler mit der Vermögenssteuer und Beate Meinl-Reisinger mit einer Absage an neuen Steuern, aber der Bereitschaft, zum Beispiel eine Pensionsreform durchzuführen. Für beide tut sich damit eine neue Chance auf.
Der Ansatz von Meinl-Reisinger mag begrenzt populär sein, er entspricht aber wirtschaftsliberalen Vorstellungen. Jener von Babler ist auf politischer Ebene in der Minderheit, wird aber von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen: Bei der jüngsten Erhebungswelle der „Europäischen Sozialstudie“ wurden über 2000 Menschen in Österreich gefragt, wie Krisenkosten bewältigt werden sollen. Der Antwortmöglichkeit Kürzungen bei Sozialleistungen stimmte kaum jemand zu, die Antwort Vermögenssteuer für das oberste Zehntel stieß auf fast 90-prozentige Zustimmung. Klar: Die fast 90 Prozent gehen davon aus, dass sie nicht betroffen wären. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der Punkt ist: Es wird zunehmend klar für eine Masse, dass gehandelt werden muss. „Keine neuen Steuern“ allein wird als Ansage nicht reichen. Der Druck auf ÖVP und FPÖ wächst, wie Neos zu sagen, wo sie sparen würden.
Den Grünen wird das weniger schwerfallen. Ihnen kann zum Beispiel vollumfänglich das gefallen, was Vertreterinnen und Vertreter des WIFO und der „Wissenschaftlichen Vereinigung für Analyse, Beratung und interdisziplinäre Forschung“ in einem Beitrag zum Sozialbericht (Band 2) ihres Ministers Johannes Rauch skizziert haben: Im Sinne einer „sozial-ökologischen Transformation“, die teuer wird, sollte demnach die Belastung des Faktors Arbeit reduziert werden. Sollten im Übrigen etwa klimaschädliche Förderungen gesenkt oder gestrichen werden. Sollte umgekehrt CO2 stärker belastet sowie mehr auf vermögensbezogene Steuern wie die Grundsteuer oder eine wiedereingeführte Erbschaftssteuer gesetzt werden.