ANALYSE. Obwohl die SPÖ davonzieht, wächst links der Mitte das Unbehagen über die politischen Verhältnisse. Durch eine neue Bewegung würde jedoch nichts besser werden. Im Gegenteil.
Dass es ein politisches Vakuum gibt, ist greifbar, aber ein seit Jahren immer wiederkehrendes Phänomen. Die Zeiten, in denen SPÖ und ÖVP zusammen fix 90 Prozent und mehr erreichten, sind längst vorbei. Bei der Bundespräsidenten-Wahl 2016 kamen sie mit ihren Kandidaten Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol gerade einmal auf gut 22 Prozent. Auf Platz eins lag zunächst Norbert Hofer (FPÖ) und letztlich ein Grüner: Alexander Van der Bellen.
Seit dem Rückzug von Sebastian Kurz und der anhaltenden Krise der ÖVP ist dieses Vakuum wieder da. Zumal die Freiheitlichen nicht groß davonziehen und die Sozialdemokraten zwar schon bei gut 30 Prozent liegen, Pamela Rendi-Wagner aber sehr zurückhaltend agiert. Sie setzt nicht so sehr auf eine Wendestimmung zu ihren Gunsten im Sinne einer Erneuerung des Landes, sondern eher nur darauf, davon zu profitieren, dass die ÖVP abgewählt wird.
Die „Kronen Zeitung“ hat am Wochenende unter Verweis auf schlechte Vertrauenswerte für Regierung wie Opposition geschrieben, dass es Platz für eine neue Bewegung gebe. Der „Standard“ hat darauf den Begriff „Alpen Macron“ aufgebracht und über Spekulationen berichtet, dass Christian Kern zu einem solchen werden könnte. Das Ganze war immerhin vorsichtig mit einem Fragezeichen versehen.
Zuletzt schrieb die Zeitung von einzelnen Akteuren aus dem Dunstkreis der Sozialdemokratie, die mit einer eigenen Partei und dem Ziel in die nächste Wahl gehen könnten, hinterher eine Ampelkoalition zu erwirken – mit ihr, den Grünen, den Neos und der SPÖ. Dahinter stecke die Sorge, dass sich die SPÖ auf eine Große Koalition mit der ÖVP einlassen könnte. Das ist nicht unbegründet: In einem „News“-Interview hat sich Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke bereits offen dafür ausgesprochen. Schwierige Zeiten würden eine solche nötig machen und so. Auch in der Gewerkschaft ist diese Variante nicht wenigen allemal lieber, als etwa arbeits- und sozialrechtliche Fragen mit den Neos klären zu müssen.
Ob eine weitere Partei links der Mitte eher zu einer Ampelkoalition führen würde, ist jedoch fraglich. Es würde eher zu einer Kannibalisierung führen. Erstens: SPÖ, Neos und Grüne halten zusammen im Durchschnitt der Umfragen schon nur 52 Prozent. Zweitens: Konkurrenz durch eine flotte Bewegung mit einer prominenten Persönlichkeit aus der Zivilgesellschaft an der Spitze würde an der Summe nicht viel ändern. Drittens: Eine Regierungsbildung würde schwieriger werden. Viertens: Der gemeinsame Nenner wäre noch brüchiger, am Ende würden alle Wählerinnen und Wähler enttäuschen.
Fünftens: Wahlentscheidend heute wären Antworten auf die Teuerung. Dazu gibt es im Wesentlichen zwei Antwortmöglichkeiten, die abgedeckt sind: Maßnahmen, die zu Preissenkungen führen (SPÖ, FPÖ); oder unterschiedliche, mehr oder weniger treffsichere Maßnahmen, die Menschen helfen, mit steigenden Preisen zurechtzukommen (ÖVP, Grüne, Neos).
Sechstens: Es würde in Österreich einen erheblichen Bedarf für Transparenz und eine bessere politische Kultur geben. Das ist weniger gut abgedeckt, hier würde es vielleicht Platz für eine neue Bewegung geben. Wahlentscheidend dürfte das im Moment aber eben nicht sein, trotz aller Skandale.
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