ANALYSE. Mit ihrer „Leitkultur“-Kampagne versucht die ÖVP, in ländlichen Regionen zu punkten. Die Erfolgsaussichten sind gering, die Schäden erheblich.
ÖVP-Chef, Kanzler Karl Nehammer kann’s nicht. Seit gut einem Jahr bemüht er sich immer wieder aufs Neue, das anzusprechen, was aus seiner Sicht Österreich ausmachen sollte. Einmal ist er mit Normalität und Schnitzelessen dahergekommen, dann mit der Verankerung von Bargeld in der Verfassung; dann mit Leopold Figl und jetzt mit einer „Leitkultur“, die angeblich von Integrationsministern Susanne Raab (ÖVP) definiert werden soll, zu der Nehammers Partei aber schon eine Vorstellung hat: „Tradition statt Multikulti“, schrieb sie in einer Kampagne vor Ostern: „Das ist die Leit-Kultur.“ Auf einem der Sujets waren Männer zu sehen, die einen Maibaum tragen.
Nach wenigen Stunden wurde das jedoch wieder gelöscht, wie die „Presse“ berichtete. Die Frage nach dem Warum spielt keine Rolle. Der Punkt ist: Nehammer versucht rechts von der ÖVP keinen Platz zu lassen. Bei einem Mitbewerber wie der FPÖ ist das schwierig. Je weniger sich in den Umfragen bewegt, desto verzweifelter und radikaler wird’s jedoch versucht.
Unverändert stehengeblieben sind Sprüche wie: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen.“ In Verbindung mit der ganzen Volkstümelei (Traditionen, Trachten, …) zieht sich die Volkspartei damit ganz auf ein provinzielles Österreich zurück.
Ein provinzielles Österreich abseits der blühenden und wachsenden Regionen, die es auch außerhalb der Städte gibt; es handelt sich um ein Land, das von Abwanderung geprägt ist und in dem multiple Krisen daher für noch mehr Depressionen sorgen. Hier haben die Freiheitlichen bei den jüngsten Landtagswahlen die größten Wahlerfolge erzielt. Hier geht es der ÖVP nun darum, zu retten, was noch zu retten ein könnte.
Die Erfolgsaussichten sind gering, die Schäden erheblich: Eine einst staatstragend-bürgerliche Partei der Mitte macht üble Stimmung gegen alle, die anders sind. Die keinen Dialekt sprechen, keine Tracht tragen, nicht beim Maibaumaufstellen und -klettern dabei sind. In einem Land, in dem so mit einem Schlag mehrere Millionen Menschen ausgegrenzt werden, ist das gefährlich für das gesellschaftliche Zusammenleben, wird so vielmehr Spaltung betrieben.
Wobei man sich bei der ÖVP möglicherweise denkt, dass die, die ausgegrenzt werden, eh überwiegend in größeren Städten leben und nicht wahlberechtigt sind. Abgesehen davon, dass das nichts besser machen würde, wäre es jedoch auch parteistrategisch kurzsichtig: Hier macht man sich schon auch Wahlberechtigte in urbanen Räumen zu Gegnern – und das sind nicht wenige. Ohne sie kann man schwer erfolgreich sein bei einem bundesweiten Urnengang.
Die ÖVP biedert sich – frei nach Othmar Karas – an den rechten Rändern an und ist dabei schier chancenlos gegen die FPÖ: Nehammers Problem ist, dass er keinen seiner bisherigen Ansätze, beginnend von der Sache mit der Normalität, konsequent durchgezogen hat. Dass er jetzt sogar Kampagnenteile wie die Sache mit „Tradition statt Multikulti“ einstampfen lässt. Damit gehen verheerende Signale und Botschaften einher: Wählern, die angesprochen werden sollen, wird im Grunde genommen gesagt: „Wenn ihr das wirklich wollt, müsste ihr zu den Freiheitlichen gehen. Sie reißen solche Themen nicht nur an, sondern bleiben dabei.“ Job der ÖVP ist es da „nur“, den Boden für Kickl und Co. zu bereiten.