ANALYSE. Der Wiener Bürgermeister sieht für seine Partei ein „auf und ab“ in Umfragen. Und der Bundeskanzler glaubt, sich durch eine Versöhnung mit Impfgegnern retten zu können: Beide verkennen, was läuft.
Nachfolgende Grafik könnte auch Titel wie „Zeitenwende“ oder „Vom Ende der Insel der Seligen“ tragen: Dargestellt ist der Anteil der Menschen, die angeben, dass die allgemeine Lage im Land gut sei. Bei Eurobarometer-Befragungen wird das regelmäßig erhoben. Werte von mehr als 80 Prozent waren „vor Corona“ normal in Österreich. Sie waren damit gut zweimal höher als im Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten. Dann brach der Anteil ein, um in Hoffnung auf ein Licht am Ende des Tunnels noch einmal anzusteigen und seit zwei Jahren wieder zurückzugehen. Bei der Befragung im Jänner und Februar gaben hierzulande nur noch 52 Prozent an, dass die Lage gut sei. 47 Prozent meinten, sie sei schlecht. Zum Vergleich: In Dänemark waren noch immer 84 Prozent zufrieden. Europaweit handelte es sich um recht stabile 41 Prozent.
Es liegt auf der Hand, dass damit auch politische Folgen einhergehen. Dass nichts ist, wie es war. Dass es sich der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig zu einfach macht, wenn er schlechter werdende Umfrageergebnisse seiner Partei gelassen kommentiert: „Ich will nur daran erinnern, dass wir noch vor kurzer Zeit als SPÖ mit Abstand am ersten Platz gelegen sind.“ Von daher sei es „immer ein auf und ein ab“. Motto: Zurücklehnen, gelassen bleiben, wird schon wieder.
Umgekehrt wird Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nicht glauben, dass er sich und seine Partei durch eine Versöhnung mit Impfgegnern sowie einer aufmunternden Rede zur Lage der Nation am 10. März retten kann. Es ist viel mehr nötig. Die SPÖ kann sich nicht mehr darauf verlassen, vorne zu liegen, wenn die ÖVP zurückfällt und die ÖVP, sich irgendwie stabilisieren zu können.
Multiple Krisen sowie das Platzen der Sebastian-Kurz-Blase erfordern mehr. Herbert Kickl liefert mit wachsendem Zuspruch das eine Extrem dazu: Er bestätigt Leute im Gefühl, dass es schlecht laufe und redet ihnen ein, dass sie Regierenden egal seien. Diesen bringen nicht einmal mehr noch so üppige Antiteuerungspakete etwas, wie man in Niederösterreich gesehen hat. Am Ende des Tages bleibt immer das Schockerlebnis stärker, das sich aufgrund höherer Preise an der Supermarktkasse einstellt.
Wenn man nicht nur darauf hoffen mag, dass Herbert Kickl auf dem Weg zur kommenden Nationalratswahl schon noch irgendwo über sich selbst stolpert, um selbst wieder vorne zu liegen, muss man liefern. Was es braucht: Eine Erzählung und ein ernstzunehmendes Programm dazu.
Sehr viele Menschen finden, dass die Lage schlecht sei. Man kann ihnen kommen wie Kickl oder eine Perspektive entwerfen. Wobei das infolge der enttäuschten Hoffnungen, die mit Kurz einhergehen und aufgrund der wachsenden Herausforderungen ziemlich anspruchsvoll geworden ist. Es ist jedoch nicht unmöglich geworden: Es geht darum, saubere Politik zu fördern, eine solidarische Gesellschaft zu stärken und aufzuzeigen wie sie auch in zehn, 20 Jahren funktionieren kann. Dazu gibt es unterschiedliche Zugänge. Sichtbar ist keiner. Sonst würde Kickl nicht abräumen.