ANALYSE. Politische Konsequenzen beschränkten sich zu sehr auf wahltaktisch motivierte. Das rächt sich heute auch für die ÖVP.
„Der Rücktritt war wahrscheinlich mein größter Fehler“, sagte Heinz-Christian Strache in einem Puls 24-Interview zum dritten Jahrestag der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Wenig später verabschiedete sich der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef aus der Politik. Und ein paar Stunden darauf verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Ende der türkis-blauen Koalition: „Genug ist genug.“ Wirklich schwerwiegend seien Ideen des Machtmissbrauchs sowie der Umgang mit Steuergeld und der Presse gewesen, so Kurz in seiner Begründung.
Was Strache betrifft, weiß man nach wie vor, dass der Rücktritt im Mai 2019 kein Fehler, sondern Pflicht war. Was Kurz angeht, ist mehr denn je klar, dass er geblufft hat: Wirklich empört gewesen sein kann er nicht über das, was Strache in dem Video gegenüber einer vermeintlichen Oligarchin versprochen hat. Seine Konsequenz beschränkte sich darauf, eine Neuwahl anzustreben. Das Kalkül ging auf: Eine Viertelmillion FPÖ-Wähler wechselte zur türkisen ÖVP bzw. der „Liste Sebastian Kurz“; das bescherte dieser einen fulminanten Zugewinn auf 37,5 Prozent.
Natürlich: Politisch hatte dies unter anderem auch zur Folge, dass Herbert Kickl nicht mehr Innenminister sein durfte – und es auch kaum noch einmal werden wird. Zumindest Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat ausgeschlossen, ihn ein weiteres Mal anzugeloben. Die FPÖ stürzte auf 16,2 Prozent ab (minus zehn Prozentpunkte) und landete auf der Oppositionsbank.
Aber sonst? Mit der FPÖ ist wieder zu rechnen, laut jüngster „profil“-Umfrage ist sie der Volkspartei schon sehr nahe. Diese betont zwar, nicht mit Kickl koalieren zu wollen nach einer nächsten Wahl. Was heißt das aber schon: Hauptgegner der ÖVP ist die Sozialdemokratie, wie der Parteitagsrede von Karl Nehammer zu entnehmen war. Sollte sich für ihn die Koalitionsfrage jemals stellen, läuft das aus seiner Sicht auf „Pest oder Cholera“ hinaus – mit Roten oder Blauen. Sonst wird sich eher nichts ausgehen.
Viel schlimmer ist vorerst jedoch, dass Ibiza in der Sache so folgenlos blieb. Noch nicht einmal das Korruptionspaket ist beschlossen, das das unter Strafe stellen soll, was Strache gemacht hat; nämlich das In-Aussicht-stellen von Machtmissbrauch für den Fall, dass er über eine Regierungsbeteiligung die Möglichkeit dazu bekommt (wovon er offensichtlich schon im Sommer 2017 ausging).
Bemerkenswert erscheint, dass die ÖVP bei ihren eigenen Affären heute so tut, als sei alles ganz harmlos gewesen; als würden sich die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Luft auflösen. Als Beleg dafür gilt der Partei, dass es weder Anklage noch Verurteilung gibt bisher. Bei Strache war ihr das damals egal; im Unterschied zu Chats, die Leute aus ihren Reihen betrifft, war ihr das Video genug.
Das ist umso bemerkenswerter, als es in ihrem Fall ebenfalls darum geht, Journalismus zu kaufen. Nicht in Form der Übernahme einer ganzen Zeitung, sondern von Inseratenschaltungen in Verbindung mit der Veröffentlichung manipulierter Umfragen. Sprich: Was Strache „bloß“ angekündigt hat (und zurecht zum Rücktritt gereicht hat), ist hier anders umgesetzt worden. Das ist sogar schwerwiegender, scheint politisch scheint jedoch vollkommen egal zu sein.
Ausständig sind auch diese Reformen, deren Notwendigkeit gerade durch den Ibiza-Skandal deutlich geworden ist: Parteien- sowie Inseratentransparenz; und Informationsfreiheit. Hier würde es darum gehen, dunkle Ecken auszuleuchten, damit so vieles, was Strache angesprochen hat, schwer bis unmöglich wird. Spenden müssten umfassend wie zeitnah offengelegt werden; Inseratenschaltungen mit Steuergeldern und überhaupt viel mehr staatliche Entscheidungen (bis hinunter auf die Gemeindeebene) nachvollziehbar gemacht werden. An willkürliche Auftragsvergaben zugunsten von Großspendern sollte im Idealfall nicht einmal mehr zu denken sein.
Das Ganze rächt sich. Auch für die ÖVP: Karl Nehammer könnte froh sein, all diese Konsequenzen wären bereits gezogen worden. Ihm selbst fehlt die nötige Kraft dazu, bei der Informationsfreiheit kann er sich etwa nicht gegen seine Bürgermeisterinnen und Bürgermeister durchsetzen. Oder Markus Wallner in Vorarlberg: Dass sich „seine“ Wirtschaftsbund-Affäre gerade in den vergangenen Jahren derart auswachsen konnte, ist auch der Tatsache geschuldet, dass im Halbdunkel so viel möglich geblieben ist.
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