ANALYSE. Im Hinblick auf die Wiener Gemeinderatswahl fährt die neue ÖVP einen alten Kulturkampf hoch: Land gegen Stadt. Damit verstärkt sie nebenbei auch den Druck auf Kogler und Co.
Bei einer Stärken-und-Schwächen-Analyse würden grüne und türkise Regierungsmitglieder im Zusammenhang mit der Pandemie wohl ähnlich abschneiden. Sprich: Es ist nicht so, dass die einen bisher nur alles richtig und die anderen nur alles falsch gemacht haben. Über die Rampe kommt sehr wahrscheinlich jedoch ein ganz anderer Eindruck: Zurückgetreten ist zuletzt etwa nicht Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) aufgrund eines Unmuts vieler Wirte oder des Verhaltens der Seilbahnlobby in der Causa Ischgl; oder Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) aufgrund der Probleme, die Unternehmer mit offenbar unerträglich komplizierten Kurzarbeitsanträgen haben; nein, gegangen ist die bisherige Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) in Vertretung von Kulturminister Werner Kogler (Grüne), nachdem Künstler medienwirksam auf die Barrikaden gestiegen waren.
Da kommen zwei Dinge zusammen: Zum einen ist das türkise „Message Control“ effizienter, zum anderen sind die Grünen eher bereit, zu Fehlern zu stehen. Das Ergebnis davon ist, dass sie bei einer Masse weniger toll dastehen. Beispiel: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wies die Kritik an der rechtlichen Qualität diverser Coronagesetze zunächst ungerührt vom Tisch. Als sie nicht verstummte, ließ er Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dafür verantwortlich machen. Was auch insofern bemerkenswert ist, als der Verfassungsdienst der Regierung im seinem Kanzleramt angesiedelt ist. Aber sei’s drum: Anschober bestätigte Handlungsbedarf und setzte einen Expertenrat ein. Womit er auch die Verantwortung übernommen hat.
Für die Grünen wird’s noch kritischer, die ÖVP ist dabei, sie ganz und gar nicht partnerschaftlich zu erdrücken: Im Hinblick auf die Wiener Gemeinderatswahl wird ein türkiser Kulturkampf wieder verstärkt. Land gegen Stadt. Aktuelle Version: Auf dem Land hat man Corona besiegt, in der rot-grünen Bundeshauptstadt ist man jedoch weniger diszipliniert und auch weniger konsequent – und daher auch mit weiteren Infektionen konfrontiert.
Ganz verschwunden ist dieser Konflikt in der Krise ja nie: Auf „Wir wollen keine Wiener“-Aktionen im Salzkammergut, aber auch im sozialdemokratischen Burgenland, gab es nie eine bundespolitische Reaktion. Sprich: Die Wunden sind geblieben. Was nebenbei bemerkt auch nicht besonders klug ist: Warum sollen Wiener jetzt erst recht am Neusieldersee oder im Ausseerland Urlaub machen, um die österreichische Tourismuswirtschaft zu retten? Das ist nach den unfreundlichen Aktivitäten der vergangenen Wochen schon ein bisschen viel verlangt.
Doch zurück zur Wiener Gemeinderatswahl: Der ÖVP geht es vor allem darum, die letzte große Bastion der Sozialdemokratie zu stürzen. Innenminister Karl Nehammer macht mit einem Wien-„Blame Game“, wie es für das ländliche Ischgl ausdrücklich unerwünscht ist, die Vorhut. Wobei die Grünen auch schon in der Zwickmühle sind: Sie können und dürfen sich an diesem Spiel nicht beteiligen. Sie tragen auch in der Bundeshauptstadt Regierungs- bzw. Mitverantwortung. Und sie müssen auf der Seite der urbanen Wähler bleiben, von denen sie im Wesentlichen getragen werden.
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