ANALYSE. Als Regierungspartei enttäuschen Kogler und Co. alte Kerngruppen, gewinnen aber viel mehr neue Sympathisanten dazu. These: Sie tun das in der Mitte, wo die ÖVP Platz gemacht hat.
Zumindest Teile der Kulturszene sind nicht mehr gut zu sprechen auf die Grünen: „Geigen wir die ganze grüne Kulturpartie ham – unter die vier Prozent, wo sie hingehören“, wettert Kabarettist Lukas Resetarits in einem Video, wobei sich seine Wut vor allem gegen Staatssekretärin Ulrike Lunacek richtet. Sie sei eine „schwarze Aussicht“ für alle Kulturschaffenden auf, hinter und neben der Bühne. Begründung: Bisher konnte sie den Leuten keine Perspektive geben.
Das ist hart für die Grünen: Empirisch belegen lässt es sich nicht, es gibt jedoch Indizien, die dafür sprechen, dass die Partei von Vizekanzler Werner Kogler eine Kernklientel enttäuscht. Laut SORA-Analyse zur Nationalratswahl 2019 sind die Grünen bei Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss (Uni) klare Nummer eins (gewesen). Auch in den urbanen Räumen haben sie recht stark abgeschnitten. Dort eben, wo auch eine größere Kulturszene anzutreffen ist.
Und auch Wählerinnen und Wähler, denen Dinge wie Qualitätsmedien, Demokratie und Flüchtlingshilfe wichtig sind. Wobei sie von den Grünen ebenfalls nicht bedient werden, um es vorsichtig zu formulieren: Die Coronaförderung geht eher an Boulevardzeitungen. Gegen die autoritären Verhältnisse in Ungarn hat Österreich im Unterschied zu nordischen Staaten nichts einzuwenden. Die türkis-blaue Flüchtlingspolitik wird unter Türkis-Grün fortgesetzt. Und so weiter und so fort.
Klar, das Meiste fällt in türkise Zuständigkeit und schaut daher auch entsprechend aus. Als Koalitionspartner werden die Grünen aber mitverantwortlich gemacht. Andererseits verzichten die Grünen auf Bundesebene auffallend stark darauf, da und dort eine eigene Handschrift erkennen zu lassen. Zuletzt gemacht haben das eher nur einzelne Grünen-Vertreter aus den Ländern. Vorarlbergs Johannes Rauch etwa, der sich gegen eine Rettung der AUA unter den aktuellen Bedingungen aussprach; oder der Innsbrucker Georg Willi, der gerade auf eine stärkere Lockerung der Maßnahmen gegen das Coronavirus drängte.
Das Grünen-Problem ist jedoch nicht nur auf die Dominanz der ÖVP zurückzuführen, sondern auch selbstgemacht: Siehe Werner Koglers Zickzackkurs zu einer Erbschaftssteuer für Millionäre. Oder die jüngste Attacke von Klubobfrau Sigrid Maurer auf die Opposition: Dass SPÖ und FPÖ im Bundesrat nicht im Sinne der Regierungsfraktionen abstimmten, bezeichnete sie als „Sabotageakt“. Da ist nicht mehr grün.
Bemerkenswerterweise befindet sich die Partei jedoch nicht in einer existenziellen Krise. Ganz im Gegenteil: Ihre aktuellen Umfragewerte liegen – hoch wie nie – um gut die Hälfte über ihrem Nationalratswahlergebnis vom vergangenen Herbst (13,9 Prozent). Wie ist das möglich?
These: Die Grünen sind Teil eines größeren Transformationsprozesses. Wo soll man anfangen? Erstens: Die ÖVP hat sich unter Sebastian Kurz sehr wirkungsvoll nach rechts bewegt und freiheitliche Wähler absorbiert. Damit ist eine Mitte frei geworden, die einst durchaus auch schwarz war und die zum Beispiel sehr froh darüber ist, dass Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl und Beate Hartinger-Klein nicht mehr in der Regierung sind; sondern dass es ganz besonders in Zeiten wie diesen einen Gesundheitsminister Rudolf Anschober gibt, der relativ ruhig und besonnen agiert.
Zweitens: Dieser Mitte der Wählerschaft gefällt möglicherweise auch, dass die Grünen viele Forderungen abgeschliffen haben. Selbst bei ihrem letzten großen Anliegen, dem Klimaschutz. Von einer CO2-Steuer, geschweige denn einer saftigen Benzinpreiserhöhung, redet kein Grüner mehr. Eher agieren sie mit wohligen Ansagen wie Förderungen und Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Das tut niemandem weh, da gehen viele mit.
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