ANALYSE. Lena Schilling wird jetzt erst recht zur Belastung für die Partei. Besser: Die Partei sorgt dafür, dass sie größer wird und sie in einen wichtigen Wahlkampf nur so stolpert.
Einmal ist es gut gegangen für die Grünen: Bei der Europawahl haben sie weniger stark verloren als erwartet. Sie fielen nicht von 14,1 auf weniger als zehn Prozent, sondern erreichten 11,1 Prozent. Das war bemerkenswert: Was um Lena Schilling vorgefallen war, mag ihnen ein paar „Jetzt erst recht“-Stimmen beschert haben, war in Summe aber halt doch irritierend gewesen; dass sie in Zeiten wie diesen, wo es mehr denn je um Europa und Demokratie geht, kein politisches Schwergewicht zu ihrer Spitzenkandidatin gekürt hatten, sondern die 23-jährige Klimaaktivistin; dass Parteichef Werner Kogler Berichte über sie als „Gefurze“ abgetan hatte, ja Generalsekretärin Olga Voglauer von „Silberstein-Methoden“ gesprochen hatte – derlei ist trotz später Entschuldigungen der beiden für diese Wortwahl hängengeblieben.
Zunächst konnte es verdrängt werden: Wenige Tage vor dem Urnengang am 9. Juni gelang es den Grünen, den Fokus auf den Listenzweiten Thomas Waitz zu lenken. Eher ein politisches Schwergewicht, der dann auch mehr Vorzugstimmen als Schilling erhielt. Es scheint, als wären nicht wenige Wähler der Partei erleichtert darüber gewesen, auf seine Existenz hingewiesen zu werden und so ihr doch treu bleiben zu können. Daher vielleicht die 11,1 Prozent. Und nicht neun oder so.
Jetzt aber bricht das alles wieder auf: Von wegen „Gefurze“ oder „Silberstein-Methoden“: Schilling hat notariell zugegeben, gegenüber Dritten den falschen Eindruck erweckt zu haben, mit ZIB2-Moderator Martin Thür ein Verhältnis gehabt zu haben, dem sie in Wirklichkeit noch nie begegnet ist.
Zweitens: Wenig überraschend ist sie bei einer Pressekonferenz in Straßburg damit konfrontiert worden. „Warum verbreiten Sie solche Lügen?“, will eine ORF-Redakteurin wissen. Antwort Schilling: „Die Hintergründe dessen werde ich vielleicht irgendwann erklären, jetzt aber ist nicht der Zeitpunkt …“
Drittens: Bei der Pressekonferenz waren auch Vertreter anderer Partei anwesend, es ist üblich, dass solche Pressekonferenzen zur Gänze als Livestream übertragen werden. Für Schilling lehnten das die Grünen jedoch ab. Ergebnis: Während ihres Statements wurde die Übertragung unterbrochen.
Dramatisch? Es wird für Lena Schilling und die Grünen einfach alles nur noch viel schlimmer. Sie haben neben Waitz eine Vertreterin im Europäischen Parlament, die aus ihrer Sicht Klimapolitik, nicht aber Fragen gerecht wird, die gerade von existenzieller Bedeutung sind für die europäische Integration. Das war, wie eingangs erwähnt, absehbar. Jetzt trägt Schilling durch ihr Verhalten aber auch noch dazu bei, dass die unsäglichen Geschichten um sie wesentlich größer werden, dass man wirklich feststellen kann, wie sie es mit der Wahrheit nimmt; dass sie glaubt, derlei aussitzen zu können. Und die Grünen, die sonst gerne von Pressefreiheit und Transparenz reden, spielen mit. Es ist unwürdig, beschädigt ihre Glaubwürdigkeit.
Es ist im Übrigen das Gleiche wie im EU-Wahlkampf. Nur dass es diesmal um den Nationalrat bzw. die Frage geht, ob die FPÖ mit Herbert Kickl zu einer solchen Mehrheit kommt, dass er es schafft, mit Hilfe Türkiser zum Beispiel „Volkskanzler“ zu werden. Da ist es nicht egal, wie Grüne aufgestellt sind.
Eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler lehnt Kickl als Regierungschef ab. Wenn sich seine Mitbewerber aber selbst schwächen und daneben vielleicht auch noch Platz für eine Bierpartei oder Kommunisten im Hohen Haus machen, dann macht ihn das relativ stärker. Dann sind die Verhältnisse links der Mitte komplett zersplittert. Was ihm nur gefallen kann.