ANALYSE. Die ÖVP verschärft den Ton in der Flüchtlingspolitik. Und provoziert damit eine grundlegende Krise ihres nächsten Koalitionspartners.
Mit der Frage, ob das nicht zynisch gemeint sei, lag ZIB2-Moderator Armin Wolf im Interview mit ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg am Punkt: Schallenberg hatte sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria gestellt und von einem verwerflichen „Geschrei nach Verteilung“ dieser Menschen in ganz Europa gesprochen. Zumindest, aber ganz besonders österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die mit den Grünen sympathisieren und sie vielleicht auch schon einmal gewählt haben, muss das ganz brutal getroffen haben. Aus ihrer Sicht kommt das wohl einer moralischen Bankrotterklärung gleich.
Und natürlich: Schallenberg ist wie Bundeskanzler Sebastian Kurz oder Innenminister Karl Nehammer, von denen ähnliche Worte kommen, kein Grüner, sondern ein Türkiser. So viel Unterscheidung muss sein. Andererseits aber ist das hier die Linie der türkis-grünen Regierung – Werner Kogler und Co. sind mitgegangen und jetzt mitgefangen.
Und überhaupt: Die ÖVP steht nicht trotz, sondern wegen ihrer so unmissverständlichen Politik gegen Menschlichkeit im Allgemeinen und Flüchtlinge im Besondern vor einem weiteren Wahlerfolg; in Wien hat sie gute Chancen, sich am 11. Oktober auf rund 20 Prozent oder mehr zu verdoppeln. Die Grünen dagegen droht genau das Schicksal er ereilen, dass vor ihnen bereits die SPÖ und die FPÖ an der Seite von Sebastian Kurz getroffen hat – sie sind nicht nur mit eigenem Zutun in eine fundamentale Krise gestürzt. Man könnte meinen, es stecke ein türkiser Plan dahinter.
Der Vorteil der ÖVP: Ihre Anhänger sind offenbar sehr zufrieden mit diesem Kurs. Der Nachteil der Grünen: Ihre Anhänger sind empört – und müssen sich abwenden, wenn sie eine Kursänderung haben wollen. Vorstellbar etwa, dass Bilder aus Moria in Verbindung mit Schallenberg’schem Zynismus eine Art Lichtermeer II provozieren. Wobei Leute wie Kogler wohl gerne dabei wären, aber nicht können. Zu groß dürfte die Enttäuschung über sie sein. Auch wenn sie immer wieder betonen, für die Aufnahme von Flüchtlingen zu sein. Was korrekt ist. Allein: Türkis-grüne Praxis ist eine andere.
Was sich abzeichnet, war im Grunde genommen schon bei der Regierungsbildung im Jänner sichtbar: Nachdem sich die Ereignisse für die Grünen überstürzt hatten, sie kaum dazu kamen, nach dem Widereinzug in den Nationalrat inhaltliche, strategische wie personelle Vorbereitungen zu leisten, wurden sie von Kurz und Co. ein ordentliches Stück weit über den Verhandlungstisch gezogen. Herausgekommen sind unter anderem 100 Prozent türkise Flüchtlingspolitik und eher allgemeine Bekenntnisse zu Klimaschutz, die nun allerdings auch noch der Coronakrise zum Opfer fallen könnten; (Steuer-)Belastungen, welcher Art auch immer, lehnt die Volkspartei jetzt ja erst recht ab.
Zusammengefasst: Den Grünen wird zum Verhängnis, dass sie sich zu einer Single-Issue-Partei (Klimaschutz) reduzieren ließen. Und dass es nun eben sogar hier immer schwerer wird für sie, sich zu behaupten.
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