ANALYSE. Beim Renaturierungsgesetz haben die Grünen nichts mehr zu verlieren. Im Gegenteil. Schwierig ist die Sache eher für Karl Nehammer und die ÖVP.
Der Wahlkampf sei „in der Opposition ausgebrochen und nicht bei uns in der Bundesregierung und bei mir als Bundeskanzler“, sprach ÖVP-Chef Karl Nehammer am Samstag im Ö1-„Journal zu Gast“. Dieses „Nicht“ war schon zu diesem Zeitpunkt daneben. Befindet er sich doch schon seit über einem Jahr im Wahlkampf, hat im vergangenen Frühjahr etwa in einer Rede angefangen, Österreich als „Autoland“ zu bezeichnen, ehe er sich zwischendurch nebulos einer „Normalität“ und einer „Leitkultur“ zuwendete und dann wieder beim Autoland landete. Wenige Tage vor der EU-Wahl inszenierte er als ÖVP-Chef im Kanzleramt einen Verbrenner-Gipfel. Der Koalitionspartner war nicht eingeladen. Weil es sich de facto ja um eine Parteiveranstaltung handelte.
Auch in der Bundesregierung herrscht Wahlkampf. Grünen-Sprecher, Vizekanzler Werner Kogler hat schon vor zwei Wochen erklärt, dass er sich an eine schriftliche Vereinbarung, wonach die ÖVP das nächste EU-Kommissionsmitglied aus Österreich bestimmen darf, nicht mehr gebunden fühle. „Der Sideletter ist obsolet, weil er unter anderen Voraussetzungen entstanden ist“, sagte er zur „Tiroler Tageszeitung“.
Seither wird Kogler immer wieder gefragt, was sich denn geändert habe. Antwort gibt er keine darauf. Es klingt, als wäre die Koalition aufgekündigt. In gewisser Weise ist sie das ja auch: Die ÖVP hat längst aufgehört, den Grünen „Das Beste“ aus ihrer Welt zuzugestehen und ein bisschen Klimaschutz zu ermöglichen. Weil es ihr das Werben um freiheitliche Wähler erschwert.
Jetzt hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grünen) einen fast schon logischen weiteren Schritt gemacht: Sie hat angekündigt, einer EU-Renaturierungsverordnung zuzustimmen, die von der ÖVP nicht nur aus den erwähnten Gründen abgelehnt wird. Landeshauptleute könnten dann schwer Straßen bauen und eröffnen wie bisher etwa Johanna Mikl-Leitner in Niederösterreich.
Jetzt toben diese Landeshauptleute, sprechen von Koalitionsbruch und überhaupt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wirft Gewessler vor, „vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch“ zu begehen. Eine Klage (gegen Gewessler) steht also im Raum.
Warum? Ein wesentlicher Punkt ist, dass es um Angelegenheiten der Länder geht und Regierungsmitglieder da auf europäischer Ebene an eine einheitliche Stellungnahme von ihnen gebunden sind. Eine solche hat es gegeben. Gegen die Renaturierungsverordnung. Vor wenigen Wochen haben die Sozialdemokraten Michael Ludwig (Wien) und Peter Kaiser (Kärnten) jedoch wissen lassen, dass sie eigentlich für die Verordnung wären. Wirklich aufgekündigt haben sie die einheitliche Stellungnahme allerdings nicht. Sie wollten es sich mit ihren Kollegen nicht ganz verscherzen. Das macht die Sache so kompliziert.
Es ist schwer zu sagen, was gilt. Insofern könnte eine grundsätzliche Klärung infolge einer Klage sogar zu Notwendigem beitragen: Landeshauptleute agieren informell formell. Ihre Konferenz, die „LH-Konferenz“, existiert laut Verfassung nicht. Geschäftsordnung und dergleichen? Fehlanzeige. Gerade weil sie so relevant sind, gehört das endlich geklärt. Laut Realverfassung stehen sie zumindest auf einer Ebene mit dem Kanzler. Eher darüber.
Doch zurück zum Politischen: Es wirkt nebensächlich, ob diese Koalition heute oder morgen aus ist. Im Grunde ist sie es ja längst, ist es fast schon Sommer und wird dann nur noch ein Intensivwahlkampf folgen. Eine offizielle Trennung würde jedoch auf ein freies Spiel der Kräfte hinauslaufen. Inklusive türkis-blaue Mehrheit gegen Klimaschutz. Wobei: Für die Grünen wäre das im Hinblick auf die Nationalratswahl sogar sehr gut. Dann könnten sie nur umso mehr damit werben, dass es Klimaschutz nur mit ihnen in der Regierung gebe. So könnten ihnen größere Verluste erspart bleiben.
Umgekehrt ist die ÖVP in einer Zwickmühle: Sie, die eine Koalition mit Kickl ausschließt, braucht die Grünen zumindest strategisch als eine mögliche Partnerin nach der Wahl. Andererseits steht sie unter Druck: FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz fordert Nehammer auf, wegen der Renaturierungsgeschichte gegen Gewessler „durchzugreifen“.
Doch was soll er tun? Weisung kann er der Grünen keine erteilen. Er könnte dem Bundespräsidenten vorschlagen, sie zu entlassen. Oder eben die Koalition beenden. Beides würde auf dasselbe hinauslaufen.
Für Nehammer ist das schwierig: Will er sich die Grünen als mögliche Partner längerfristig warmhalten, um nach der Nationalratswahl so auch glaubwürdig Freiheitlichen signalisieren zu können, dass er eine Alternative hätte, wenn sie Kickl nicht fallen lassen? Oder ist es ihm kurzfristig wichtiger, freiheitlichen Anhängern als Auto-Verteidiger und Renaturierungsgegner zu gefallen?