ANALYSE. Karl Nehammer und Andreas Babler können keine Regierung bilden, die fünf Jahre lang hält – und am Ende auch ihre Parteien stärkt.
Karl Nehammer hat seine Schuldigkeit getan. Unendlich dankbar müssen seine Parteifreunde sein, dass er die ÖVP und das Kanzleramt im Herbst 2021 übernommen hat. Nach Sebastian Kurz. Mit Alexander Schallenberg wäre zweiteres auf Dauer gar nicht gutgegangen. Nehammer hat zuletzt immerhin keine größeren Fehler mehr gemacht. Er hat die Fallhöhe der Partei begrenzt, am Endes aber doch nur das „bringen“ könnten, was erwartbar war: Eine historische Niederlage. Einzig, dass die SPÖ noch schlechter abschnitt, ist ihm und seinen Parteifreunden ein Trost.
Doch jetzt? Für die ÖVP ist es kein Zustand, einen Obmann zu haben, der als Kanzler keinen Bonus hat (siehe auch die mageren Vorzugsstimmenergebnisse) und halt irgendwie versucht, die Partei auf Kurz-Kurs zu halten. Dabei herausgekommen ist gerade, dass fast eine halbe Million Wählerinnen und Wähler zum Original, der FPÖ abgewandert ist. Herauskommt, dass sich die Partei insgesamt immer mehr der FPÖ ausliefert. Sprich, dass sie mit ihr bald wohl auch in Vorarlberg und der Steiermark koalieren wird in den Ländern – und so der schwarze Teil von ihr zunehmend verschwindet.
Ehe im Hinblick auf die Regierungsbildung auf Bundesebene irgendeine Entscheidung fällt, die nicht Blau-Türkis lautet, müsste sich die Volkspartei erneuern. Eh klar: Es ist vollkommen illusorisch, dass sie das tun wird. Auf Dauer kann das Notlösung nach Kurz jedoch nicht funktionieren, braucht es jemanden an der Spitze, der Wahlerfolge liefern kann; der nicht bläuliche Politik macht, aber eine Zusammenarbeit mit dem Oberblauen (Herbert Kickl) ausschließt.
Das ist keine Perspektive für die ÖVP und auch keine für eine allfällige Koalition von ÖVP und SPÖ mit oder ohne Neos. So lange die Volkspartei nicht aus Überzeugung darauf ausgerichtet ist, sondern im Herzen wie im Geiste bei der FPÖ hängen bleibt, ist eine solche zum Scheitern verurteilt. Dafür notwendig wäre eine Persönlichkeit, die glaubwürdig für eine „Große Koalition 2.0“ steht, die noch dazu attraktiv ist. Bei der, wie bei Alexander Van der Bellen, keine Zweifel im Hinblick auf Grundlegendes wie Europa und Menschenrechte bestehen. Die auf der anderen Seite sieht, was den Leuten zu schaffen macht und wie sie von Herbert Kickl gezielt angesprochen und verführt werden; die daraus ihre Lehren in einer Art und Weise zieht, dass es zumindest einige überzeugt: Es geht auch anders.
Natürlich: Mit der SPÖ, wie sie seit ein paar Jahren aufgestellt ist, mit ihrem Vorsitzenden, wird eine Koalition nie groß werden können. Ein Problem ist zunächst nicht, was Andreas Babler will, sondern dass die Partei ständig darüber streitet, ob sie das wollen soll. Sorry: Allein von daher darf sie sich über das jüngste Wahlergebnis nicht wundern. Abgesehen davon wäre es vielleicht wirkungsvoller gewesen, sich inhaltlich auf weniger zu konzentrieren und so klarer zu sein. Das hätte unter Umständen trotz des medialen Gegenwindes zu einem Erfolg führen können. Es ist jedoch Geschichte.
Babler und die SPÖ stehen nun vor einem Problem: Er, der seine Forderungen, von 32-Stunden-Woche bis Vermögenssteuer, leidenschaftlich vorträgt, muss vieles für ein allfälliges Bündnis mit der ÖVP aufgeben und sich zurücknehmen. Damit ist er nicht mehr der, der er ist. Kann er nicht einmal mehr Wahlergebnisse halten.
Eine „Große Koalition“ setzt voraus, dass beide eine solche wollen, um eine gemeinsame Politik zu machen. Nicht das „Beste aus beiden Welten“ oder schlicht „Kickl verhindern“. Das ist umso wichtiger, als mit Neos möglicherweise auch eine dritte Partei dabei sein könnte. Da braucht es Leute, die so ticken, wie es 2016 vorübergehend Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehner (ÖVP) auf Regierungsebene getan haben. Aber halt ohne Heckenschützen in den eigenen Reihen.