ANALYSE. Der Kleinpartei kommt die Neuwahl eindeutig zu früh: Sie hat noch keine potenzielle SpitzenkandidatIn.
Wenn die Grünen nur geahnt hätten, dass auf die EU-Wahl an diesem Sonntag eine Nationalratswahl im September folgt: Fraglich, ob sie dann mit Werner Kogler in den ersten Urnengang gezogen wären. Er hat sich schließlich zum einzigen Gesicht der Partei entwickelt, das erstens nach wie vor leidenschaftlich in ihrem Sinne auftritt, zweitens österreichweit bekannt ist und drittens auch mit allen Wassern gewaschen ist, die es in der Bundespolitik so gibt. All das wäre jetzt nötig. Sonst ist das Risiko groß, weit unter dem Potenzial zu bleiben.
Die EU-Wahl wird zu einem ersten Stimmungstest und Umfragen zufolge auch zum Comeback der Bundes-Grünen nach ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat vor zwei Jahren. Was aber nützt ein Comeback, wenn ausgerechnet mit Werner Kogler die Person, der sie das hauptsächlich zu verdanken haben, nach Brüssel und Straßburg entschwindet?
Natürlich werden Funktionäre der Partei erklären, dass man viele Talente habe und im Übrigen eine Gruppe und keine Ein-Mann- oder -Frau-Bewegung sei. Was sehr schön sein mag. In den kommenden Wochen und Monaten gibt’s jedoch keinen Schönheitspreis zu gewinnen und vor allem auch keine Zeit mehr, jemanden dafür aufzubauen.
Ganz brutal gesagt: Ex-Grünen-Chef, Bundespräsident Alexander Van der Bellen möchte, dass die Nationalratswahl Anfang September stattfindet. Jetzt haben wir Ende Mai. Dann ist Juni und dann beginnt die Urlaubszeit, die bis knapp vor dem Urnengang dauert. Ein paar TV-Duelle und das war’s. Da ist keine Zeit mehr.
Die Grünen müssten es besser wissen: Die erfolgreiche Landespolitikerin Ingrid Felipe sprang vor zwei Jahren als Bundessprechern ein, nachdem Eva Glawischnig überraschend abgesprungen war. Allein schon im ORF-Sommergespräch war es für Felipe schwer bis unmöglich, sich bundespolitisch zu behaupten. Nachvollziehbar: Das ist nicht ihr Feld.
In einem Wahlkampf würde es nun nicht nur ein Sommergespräch, sondern eben auch die Duelle geben. Oder nennen wir es Konfrontationen: Jede gegen jeden, jeder gegen jede. Da sind die eingangs erwähnten Qualifikationen, die Kogler kennzeichnen, Grundvoraussetzung.
Auch gegen Sebastian Kurz: Selbst wenn man ihn als Rechtspopulisten verortet, können Grüne nicht davon ausgehen, automatisch ein paar Tausend Stimmen abzubekommen. Im Gegenteil: 2017 sind von den Grünen 84.000 Stimmen an die türkise ÖVP gewandert, so die damalige SORA-Analyse. Das ist relativ viel: Ohne sie wäre die ÖVP von Kurz nicht auf 31,5, sondern nur auf 29,8 Prozent gekommen.