Erste Lektion für Kern: Gegner schlafen nicht

ANALYSE. Will sich der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende länger halten, muss er sich immer auch die Neuwahl-Option offen halten. 

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ANALYSE. Will sich der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende länger halten, muss er sich immer auch die Neuwahl-Option offen halten.

Der Neustart ist erledigt. Mit seinem Hinweis darauf, dass man noch weit von der Flüchtlingsobergrenze entfernt sei, hat der Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Christian Kern alle jene Vertreter der ehemaligen Großparteien geweckt, die ohnehin nicht mehr für die Große Koalition stehen: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), den es als Burgenländer zu den Freiheitlichen zieht und der sich über die Zahlen, die Kern zur Untermauerung seiner Linie vorgelegt hat, irritiert zeigt. Oder den Wiener ÖVP-Landesparteichef Gernot Blümel, der in der Bundeshauptstadt gleich selbst freiheitliche Politik betreibt und der Kern nicht einmal einen Monat nach dessen Amtsantritt zum Rücktritt auffordert. Damit hat er es – als Mann aus der dritten Reihe – auf fast alle Titelseiten gebracht und so die eingangs formulierte Botschaft bestimmt: Der Neustart ist erledigt.

Christian Kern hat schon auch seinen Beitrag dazu geleistet. Indem er plötzlich den Eindruck vermittelte, es gehe nicht darum, wie viele Flüchtlinge nach Österreich kommen, ja nicht einmal darum, um wie viele Asylberechtigte es sich handelt, sondern darum, wie viele Nicht-Dublin-Fälle darunter sind, erreichte er zweierlei: Herr und Frau Müller sind naturgemäß misstrauisch geworden. Und das Asylthema, das Kern auf der Agenda zugunsten eines „New Deals“ ganz gerne zurückgedrängt hätte, steht wieder dort, wo er nur verlieren kann: ganz oben.

Den Blümels und Doskozils kann das recht sein. Zumindest ersterer hat wohl nur darauf gewartet, zu einer solchen Entwicklung beitragen zu können. Das muss Kern eine Warnung sein: An seiner Demontage wird gearbeitet; er, der da und dort gehypt wird, hat besonders viele Gegner.

Auf Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kann Kern nicht setzen.

Auf Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kann der sozialdemokratische Hoffnungsträger nicht setzen. Der betreibt entweder ein Doppelspiel, indem er sich kooperationswillig zeigt, in Wahrheit aber querschießt; oder er hat seine Partei nicht im Griff. Dafür spricht nicht nur Blümels Vorgangsweise, sondern auch jene von ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka bei der Nominierung von Kandidatinnen für das Amt des Rechnungshofpräsidenten bzw. der künftigen -präsidentin.

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Vor allem Helga Berger, die Lopatka auf Fraktionsebene durchsetze, ist alles andere als ein Angebot an die Sozialdemokraten; bei der dem FPÖ-Lager nahestehenden Spitzenbeamtin handelt es sich vielmehr um eine Kampfansage an die Sozialdemokraten im Allgemeinen und Kern im Besonderen, läuft er als Parteivorsitzender doch Gefahr, das Match um die Führung des Rechnungshofes zu verlieren.

Will sich Kern länger halten, wird es ihm unter diesen Umständen schwerfallen, sich bis 2018 als derjenige vorführen zu lassen, der sich zwar um eine ordentliche Regierungsarbeit bemühen würde, dabei aber von destruktiven Kräften gestört wird. Also wird er sich umgehend an eine Hintertür zu Neuwahlen 2017 oder gar noch heuer machen müssen, die er jederzeit öffnen kann.

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