ANALYSE. Sebastian Kurz kann sich bei seinem Kampf gegen die Justiz auf seine Partei verlassen. Sie sieht sich gezwungen, ihm zu Diensten zu sein.
Bundeskanzler Karl Nehammer lässt als ÖVP-Chef machen. Als Regierungschef, als der er immer auch wahrgenommen werde, respektiere er die unabhängige Gerichtsbarkeit, teilte er vor einer Woche in einem ZIB2-Interview mit, um sich eines Kommentars zur nicht rechtskräftigen Verurteilung seines Vorgängers Sebastian Kurz zu enthalten. Dafür sei der Generalsekretär seiner Partei, Christian Stocker, zuständig. Dieser hatte Richter Michael Radasztics einen „Anschein der Befangenheit“ unterstellt.
Entlarvend: Ausgerechnet Verfassungsministerin (!) Karoline Edtstadler (ÖVP) hat nun jedoch in der ORF-Pressestunde keinen Grund gesehen, sich parteipolitisch derart zurückzuhalten wie Nehammer. Im Gegenteil, auch sie stelle einen „Anschein der Befangenheit“ in den Raum.
Ziel: Es sollen Zweifel genährt werden, der Richter soll diskreditiert werden. Wobei es den Türkisen in einer Hinsicht leicht gemacht wird. Erst am Montag nach besagter Verurteilung wurde eine vor Monaten fixierte Disziplinarstrafe für den Richter öffentlich bekannt gemacht. Das war befremdlich.
In der Sache ging es jedoch lediglich darum: Als Staatsanwalt in einer Eurofighter-Causa hatte Radasztics einst dem Zeugen Peter Pilz bei einer Einvernehme mitgeteilt, dass es eine Weisung gebe, wonach Akteninhalte an das Verteidigungsministerium zu retournieren seien. Das hätte er nicht tun dürfen.
Es gibt nun Leute, die daraus eine Verhaberung zwischen Radasztics und Pilz konstruieren; ja so tun, als sei der Richter ein primitiver Gegner von Kurz, der nicht anders konnte, als diesen zu verurteilen.
Das Schlimme ist, dass die ÖVP, die den Kanzler stellt, der sich staatstragend gibt, hier mitwirkt. Warum? Die Erklärung, dass es ihr um Sebastian Kurz und darum gehe, möglichst viele Wählerinnen und Wähler zu halten, die er einst gewonnen hat und die nun enttäuscht sein könnten, ist zu einfach. Sie ist vielmehr erpressbar.
Der 37-Jährige mag behaupten, dass er kein Polit-Comeback plane. Er hat im vergangenen Herbst auch betont, mit der Produktion einer wohlwollenden Film-Doku über ihn ebenso wenig zu tun zu haben wie mit der kostspieligen Werbung für diesen. Er erklärt jetzt außerdem, dass er nichts mit einer Umfrage zu schaffen hat, die ein Institut gerade durchgeführt hat.
Allein dass dabei in unbekanntem Auftrag erhoben wird, welche Rolle er bei der kommenden Nationalratswahl spielen solle; ob er etwa eine eigene Liste gründen, Spitzenkandidat der ÖVP werden oder Nehammer unterstützten solle; ja wie eine eigene Liste heißen solle (z.B. „WertePakt Österreich“), ist jedoch bedrohlich für die Volkspartei.
Sie liegt zurzeit knapp hinter der SPÖ auf Platz drei, hält kaum mehr als 20 Prozent. Eine Liste Kurz mag unwahrscheinlich und wenn, dann nicht groß erfolgreich sein. Jeder Prozentpunkt aber würde zu einem erheblichen Teil auf ihre Kosten gehen. Da liegt es, geschwächt, wie sie ist, geradezu nahe, auf Nummer sicher zu gehen und Kurz in gewisser Weise nach wie vor zu Diensten zu sein: Sich ihn zum Gegner zu machen, könnte sie bei der Nationalratswahl endgültig ums Kanzleramt bringen.