ANALYSE. FPÖ-Chef Herbert Kickl hat einen verschärften „Sie werden sich noch wundern“-Moment geliefert. Ob’s ihm schadet, ist jedoch fraglich. Man scheint sich an derlei gewöhnt zu haben.
Es war ein Schlüsselmoment im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016. „Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird“, sprach FPÖ-Kandidat Norbert Hofer in einer TV-Runde. Er war Favorit gewesen, musste sich letzten Endes aber dem heutigen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen geschlagen geben. Man kann nur spekulieren darüber, viel spricht jedoch dafür, dass er sich unter anderem mit diesem Satz nichts Gutes getan hat.
Die Formulierung hatte sich auf die Möglichkeiten des Bundespräsidenten bezogen. Angekommen ist sie als Drohung. Über die Jahrzehnte hat man sich daran gewöhnt, dass das Staatsoberhaupt meist staatstragend, zurückhaltend agiert. Insofern würde man sich wirklich wundern darüber, wenn es einer ganz anders und vielleicht sogar im Sinne seiner Partei anlegen würde, auch wenn es im Beriech des rechtlich Möglichen wäre.
Rückblickend war Hofers Aussage geradezu harmlos gegen die Botschaft von FPÖ-Chef Herbert Kickl: „Wir würden es einfach machen“, sagte er im TV-Duell mit Beate Meinl-Reisinger (Neos) und meinte damit, dass eine Regierung, die von ihm geführt wird, schlicht und ergreifend keine Asylanträge mehr annehmen würde; dass sie mir nichts, dir nichts auf völkerrechtliche Verpflichtungen und dergleichen pfeifen würde.
Wenn man bedenkt, was das bedeutet, ist bemerkenswert, dass es bei Kickl jetzt anders als bei Hofer damals keine größere Debatte gibt; dass es vielleicht exakt keine Auswirkungen auf die Nationalratswahl am 29. September geben wird.
Kickl sagt eben nicht, ich werde meine Möglichkeiten ausreizen, sondern, ich mache, was ich für notwendig erachte. Möglichkeiten im Sinne eines rechtlichen Rahmens spielen dabei keine Rolle mehr. EU-Grundrechtscharta, Flüchtlingskonvention oder was auch immer: Pfeif drauf.
Warum kann man sich über derart Schwerwiegendes nicht mehr wundern? Weil Beispiele aus dem In- und Ausland zu einem Gewöhnungseffekt geführt haben. Zusammen mit der ÖVP hat die FPÖ in der Regierung Kurz I etwa bei der Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern einfach behauptet, dass diese eine Patientenmilliarde bringen werde. Kickl sagt heute, weil man aus der Regierung geflogen sei, habe man nicht mehr dafür sorgen könnten. Schmäh: Von allem Anfang an haben Rechnungshof und andere darauf hingewiesen, dass nicht annähernd erklärt werden könne, wie es zu dieser Milliarde kommen soll. Ergebnis bekannt.
Türkis-Blau hat auch eine Kürzung der Familienhilfe für Kinder durchgezogen, die im Ausland leben. Bis das Absehbare geschah: Der Europäische Gerichtshof kippte die Regelung. Damit hatten Rechtskundige von vornherein gerechnet. Politisch ist es aber einfach gemacht worden, um Symbolpolitik betreiben zu können.
Im Ausland exerziert Kickls Vorbild, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban vor, was nach diesem Verständnis möglich ist: Einfach keine Asylanträge annehmen, sich gerne von „Brüssel“ auf die Finger hauen lasse, um in weiterer Folge Stimmung gegen „Brüssel“ machen und so einen Konflikt zwischen Gut und Böse inszenieren zu können. Kickl’sche Politik läuft darauf hinaus, es auf solche Auseinandersetzungen gerne auch in der Budget- und in der Klimapolitik etwa ankommen zu lassen. Strafzahlungen sind eingepreist: Brüssel ist böse, Kickl gut, weil er, sagen wir, Autofahrern unpopuläre Maßnahmen zur CO2-Reduktion erspart.
Es ist kein Trost, dass sich nach relativ langer Zeit immer wieder Recht durchsetzt. Bei alledem geht es erstens um politisch motivierte Stimmungen und zweitens darum, all jene in ihrer Autorität zu beschädigen, die diesen nicht entsprechen. Sei es eine Kommission oder ein Höchstgericht, das Recht pflegt.
Aber das ist nichts Neues. Schon Kickls Lehrmeister Jörg Haider (FPÖ) hat sich vor über 20 Jahren gegen ein VfGH-Erkenntnis zu zweistelligen Ortstafeln in Kärnten gestellt. Es einfach nicht umgesetzt. Dem damaligen Präsidenten Ludwig Adamovich warf er „unpatriotisches Verhalten“ vor, in einer Aschermittwochrede meinte er schließlich: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er eine aufrechte Aufenthaltsberechtigung hat.“