ANALYSE. Waitz und Brandstätter: Grüne und Noes haben mit Kandidaten gepunktet, die für politische Kompetenz stehen.
Grüne haben bei dieser Europawahl „nur“ drei Prozentpunkte verloren und 11,1 Prozent erreicht. Neos hat um 1,7 Prozentpunkte zugelegt und ist ihnen mit 10,1 Prozent nahegekommen. Es gibt Leute, die finden solche Ergebnisse mager. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass es sich hier um keine Volks- im Sinne von Massenparteien handelt; dass Grüne vor allem für Klimaschutz stehen und dass es zu diesem aufgrund vieler weiterer Krisen gerade weniger Bereitschaft gibt in weiten Teilen der Bevölkerung; und dass Neos im Kern liberal und klar proeuropäisch ist, womit man in Österreich schwer 20, 25 Prozent erreichen kann.
Bei den Grünen kommt dazu, dass sie sich in einer Regierungsbeteiligung befinden und dass sie sich für die Europawahl die Kandidatur von Lena Schilling geleistet haben. Durch beides waren Verluste programmiert. Wobei es nur am Rande um Chats von und Berichte über die 23-Jährige geht. Es ist wohl eher so, dass Werner Kogler, Freundinnen und Freunde, durch sie der ganzen Breite an Herausforderungen nicht gerecht geworden sind. Dass die Klimaschutzaktivistin allein schon aufgrund ihres Alters und ihrer nicht vorhandenen politischen Erfahrung nur bedingt als Antwort auf Angriffe auf Europa und die liberale Demokratie (von innen und von außen) ernstgenommen werden kann. Was exakt gar nicht ihr anzulasten ist, sondern denen vorzuwerfen ist, die sie ausgewählt haben. Vor allem also Klubobfrau Sigrid Maurer.
Schilling steht für den Versuch, einerseits das Grünen-Kernthema Klima zu besetzen und andererseits einem verhängnisvollen Trend zu entsprechen, der zum Beispiel durch die Bierpartei von Dominik Wlazny zum Ausdruck kommt: Wichtig ist es demnach, nicht als Politikerin, als Politiker wahrgenommen zu werden. Das, so die Annahme, ist eine günstige Voraussetzung, erfolgreich zu sein.
Umso erfreulicher ist es für die Grünen, aber die Politik insgesamt, dass es ihnen mit dem Listen-Zweiten Thomas Waitz gelungen ist, einen Absturz zu verhindern. Der Mann hat allein in Wien 24.618 Vorzugsstimmen erhalten und damit so viele wie kein anderer Kandidat, keine andere Kandidatin irgendeiner Partei sowie deutlich mehr als Lena Schilling (13.648).
Waitz zeigt den Grünen, dass sie sich zu Politik bekennen und mit erfahrenen Politikerinnen und Politikern punkten können; dass sie sich Ablenkungsmanöver mit Quereinsteigerinnen und Herzen sparen können und beim nächsten Mal gleich einen wie Waitz ins Rampenlicht rücken dürfen.
Neos hat sich einen solchen Lernprozess erspart, ist mit Helmut Brandstätter als Spitzenkandidat in die Europawahl gezogen. Er hat ihrer Klientel entsprochen, ja hat es auch geschafft, ÖVP-Wähler anzusprechen, denen die Volkspartei zu sehr auf Distanz zu „Brüssel“ gegangen ist. Bezeichnend: Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, einer der letzten Schwarzen, erklärte im Wahlkampf, „schwer am Überlegen zu sein“, ihn zu unterstützen. Begründung: „Die ÖVP ist wirklich nicht mehr so europaorientiert.“