ANALYSE. Eine Aussage des neuen Kärntner SPÖ-Chefs sagt sehr viel aus über die Krise der politischen Mitte.
Die SPÖ habe gerade auch beim Thema Asyl „massive Fehler“ gemacht, hat Daniel Fellner in einem quasi selbstkritischen Antrittsinterview als Kärntner Landesparteivorsitzender im „Standard“ gesagt. Was er damit meinte? Er führt es aus: „Hat jemand etwas Kritisches über Zuwanderung gesagt, sind wir gerne mit dem erhobenen Zeigefinger gekommen. Das darfst du nicht sagen, so darfst du nicht denken, weil das rechts ist. Da haben sich die Menschen nicht vertreten gefühlt und immer mehr distanziert. Es gibt einfach Sorgen. Manche Probleme haben wir verharmlost …“ und so weiter und so fort, Schusssatz: „Wir waren zu liberal.“
Diese Feststellung ist seltsam. Sie steht einerseits für ein verbreitetes Verständnis davon, was liberal ist und andererseits für die Krise der politischen Mitte. Nach dem, was Fellner zunächst erklärt, heißt es in Bezug auf Zuwanderung und Integration, einfach alles laufen zu lassen und gar keine Probleme zu sehen. Schlicht gleichgültig und beliebig zu sein.
Es mag solche Leute geben und Fellner wird schon wissen, wen er meint. Es ist jedoch nicht das Thema, um das es hier geht: Gerade liberal sein würde in Wirklichkeit nämlich bedeuten, prinzipientreu, ja streng zu sein.
Sehr wahrscheinlich ist es das, was sich Sozialdemokraten, aber auch Schwarze, die im Unterschied zu Türkisen eher dazu in der Lage sind, am ehesten vorzuwerfen haben: Das nicht oder zu wenig gewesen zu sein.
Werte, die von Grund- und Freiheitsrechten ausgehen, wollen gepflegt und allenfalls auch eingefordert werden, damit eine offene Gesellschaft funktionieren kann. Da dürfen Dinge wie Intoleranz keinen Platz haben.
Integration darf nicht einfach so Geflüchteten etwa überlassen werden, sofern sie aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrungen noch nicht wissen können, was es bedeutet, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, in einer Gesellschaft, in der Eigenverantwortung und Solidarität gleichermaßen gefragt sind.
These: Wenn das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnter konsequenter praktiziert worden wäre, würde Herbert Kickl nicht so weit kommen mit seinem „Festung Österreich“- und „Remigrations“-Gerede. Es wäre klar, dass er ein großer Anti-Liberaler ist.
Im Übrigen wären Teile von ÖVP, aber auch SPÖ, heute vor sich selbst geschützt: Wer aus Überzeugung liberal ist, beginnt nicht mit dem Taliban-Regime zu packeln, um Abschiebungen nach Afghanistan durchführen zu können. Er redet auch nicht von einem Notstand, um sich eine Rechtfertigung dafür zu zimmern, Familiennachzug zu stoppen. Und er rüttelt nicht an Menschenrechten.
Was überhaupt das Schlimmste ist: Im Glauben, Stimmungslagen entsprechen zu können, die Kickl und seinesgleichen befeuern, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Beispiel eine „authentische Auslegung“ der Menschenrechtskonvention zu verlangen, wie es Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) tut, ist eine Selbstaufgabe der bürgerlichen Mitte. Es ist darauf ausgerichtet, das Risiko in Kauf zu nehmen, dass eine Person nach ihrer Abschiebung in der sogenannten Heimat gefoltert wird. Nichts weniger.
Gerade im Lichte eines Kickl und anderer, die so ähnlich ticken wie er, wäre es notwendig, extrem auf Rechte zu achten. Sie nicht schon vorauselend zu relativieren – und damit Vorarbeit für ihre Abschaffung zu leisten.