Durch und durch türkis

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ANALYSE. Irrtum: Unter Stocker hat sich die ÖVP nicht gemäßigt. Integrationsministerin Plakolm wird dafür eingesetzt, Desintegrationspolitik zu betreiben.

Sind Migranten oder Flüchtlinge ebenfalls Menschen, denen Würde, Respekt und fundamentale Menschenrechte zustehen? Nicht die FPÖ von Herbert Kickl sorgt dafür, dass sich diese Frage stellt, sondern die ÖVP von Christian Stocker, der gar nicht so gemäßigt ist, wie er sich gerne gibt.

Jüngst hat er bekräftigt, eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu fordern. Er stößt sich daran, dass auch bei Schwerverbrechern die Möglichkeit, dass sie im Zielland gefoltert werden, einer Abschiebung entgegensteht. Er findet das schlecht: „Die EMRK darf nicht die Falschen schützen“, sagt er: „Null Toleranz gegenüber diejenigen, die unseren Schutz missbrauchen und bei uns straffällig werden.“

Null Toleranz heißt hier also, dass man bei bestimmten Menschen in Kauf nehmen kann, dass sie gefoltert werden. Dass sie Menschenrechte verwirkt haben. Das ist eine Zäsur: Man ist nicht mehr prinzipiell gegen Folter, sondern lässt sie von Fall zu Fall zu – bei den sogenannten „Falschen“.

Jetzt zu Würde und Respekt: Österreich hat viel Integration zu bewältigen, Claudia Plakolm, eine Parteikollegin von Stocker, betreibt als Integrationsministerin jedoch Stimmungsmache; beziehungsweise Desintegrationspolitik. Ihr geht es darum, Probleme auf Kosten ausländischer Mitmenschen zu befeuern, nicht im Sinne aller zu lösen.

Gerade hat sie eine neue Version ihres unsäglichen Integrationsbarometers präsentiert. Und zwar mit hämischen Worten: „Ich denke, es überrascht wenig, dass die Stimmung punkto Integration und Zuwanderung nicht die beste ist.“

Unsäglich ist dieser Barometer, weil er wissenschaftlich Schrott ist: Befragt werden ausschließlich österreichische Staatsangehörige, obwohl es ums Zusammenleben gehen soll. Das ist zumindest einseitig. Im Übrigen gibt es keine Fragen, die mögliche Widersprüche zum Ausdruck bringen könnten. Beispiel: Es geht ausschließlich um wahrgenommene Probleme im Zusammenleben. Vielleicht aber gibt es auch Nicht-Probleme, ja Chancen und Vorteile? Sie würden zu einem ernstzunehmenden Gesamtbild dazugehören.

Wesentlich erscheint außerdem, ob jemand überhaupt ein Zusammenleben erfährt im Alltag. „Foresight“-Erhebungen deuten darauf hin, dass das bei weitem nicht die Regel ist. Unter anderem dürfte das damit zu tun haben, dass die meisten Migranten und Flüchtlinge in Städten im Allgemeinen und Wien im Besonderen leben.

Bei einem Eurobarometer sind hierzulande vor einem Jahr 1000 Männer und Frauen gefragt worden, ob Migranten einen positiven Beitrag für Österreich leisten würden. Eine Frage also, die Plakolm fremd ist. Ergebnis: 51 Prozent sagten ja, 42 Prozent nein. Interessant sind die Unterschiede nach Wohnort: In ländlichen Regionen, wo der Anteil der Migranten vergleichsweise klein ist, sehen nur 36 Prozent Vorteile, in größeren Städten, wo er hoch ist, hingegen 70.

Wäre Plakolm Integrationsministerin, derlei wäre ihr wichtig: Niemandem kann egal sein, dass so viele Menschen Probleme sehen. Was sind das aber für Probleme? Genauer: Haben Betroffene wirklich ein Problem oder ist ihr Problem zum Beispiel, dass sie sich vorstellen, dass die Verhältnisse in den Städten katastrophal sind? Das zu erfahren, wäre relevant, um zu wissen, wo man ansetzen muss.

Aber es ist Plakolm, es ist der ÖVP so etwas von egal. Sie agitiert weiter durch und durch türkis. Am Wochenende zum Beispiel mit einem Posting in sozialen Medien. Schlichter Text: „Wusstest Du, dass zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden.“ Und? Und weiter? Nichts weiter. Für die Volkspartei ist das die Message. Mehr will sie auch unter Fürhung von Christian Stocker nicht.

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