ANALYSE. Auch der steirische Landeshauptmann kann Wählern, die der ÖVP wichtig sind, nicht darlegen, warum eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen ist.
Dass Eva Dichand, Herausgeberin der Gratiszeitung „Heute“, die Entscheidung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen „nicht so ganz versteht“, Herbert Kickl keinen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen: Okay. Sie meint, dass er es ruhig hätte tun können, weil Kickl sowieso keinen Partner gefunden hätte. Das ist ein interessanter Zugang. Bemerkenswerter ist, dass der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) meint, Van der Bellen habe einen Fehler gemacht, weil er von der jahrzehntelangen Übung abgegangen sei, dem Chef der stärksten Partei den Auftrag zu geben. These: Kurzfristig hat er damit Drexlers ÖVP sogar einen Gefallen getan.
Wie hätte man sich das vorgestellt? Kickl hat mehrfach klipp und klar gesagt, dass es eine freiheitliche Regierungsbeteiligung nur mit ihm als Kanzler gebe. Karl Nehammer (ÖVP) wiederum hat mehrfach klipp und klar gesagt, dass er unter gar keinen Umständen mit Kickl zusammenarbeiten werde.
Dass der FPÖ-Obmann jetzt (laut Drexler) im Schmollwinkel sitzt bzw. so tut, als werde er daran gehindert, dem Volk zu dienen; dass ihm und den Freiheitlichen insgesamt das vielleicht sogar noch mehr Zuspruch beschert und sie in der Steiermark (laut Drexler) im Hinblick auf die Landtagswahl Ende November schon jubeln – aus alledem kann man Van der Bellen keinen Vorwurf machen.
Angenommen, er hätte Kickl den Auftrag erteilt: Sehr wahrscheinlich hätte dieser die Bühne dazu genützt, den Wahlkampf fortzusetzen. Im Wissen, dass ohnehin niemand mit ihm will. Ja, im Wissen, dass ohnehin niemand mit ihm will, hätte er populäre Forderungen erhoben, die die ÖVP schwer ablehnen kann, aber muss, weil – in Abwandlung einer Aussage von Drexler – nicht so sehr Inhalte, sondern die Person (Kickl) und das Kanzleramt maßgebend sind für sie. Er hätte ihr so ziemlich große Schwierigkeiten gemacht.
Ihr Schwäche ist, dass sie sich schwertut, zu vermitteln, worum es ihr geht. Drexler hätte in einem ZIB2-Interview am 22. Oktober zehn Minuten Zeit gehabt, es zu erklären. Er hat im Grunde genommen aber nur gesagt, dass Van der Bellen Kickl hätte scheitern lassen sollen. Voraussetzung dafür wäre jedoch eine ÖVP gewesen, die bereit und in der Lage ist, „knallharte“ Verhandlungen zu führen und sie an einem Punkt abzubrechen, an dem sie gestärkt und Kickl geschwächt ist; und zwar so sehr, dass er keine Märtyrerrolle mehr spielen kann.
Wobei: Dass er jetzt trotzdem eine Märtyrerrolle einnehmen kann und Drexler in der Steiermark Angst haben muss, noch mehr Stimmen zu verlieren, hat damit zu tun, dass es der ÖVP schon bisher nicht gelungen ist, Wählern, die ihr wichtig sind, überzeugend mitzuteilen, worum es ihr geht. Warum sie zum Beispiel in St. Pölten mit Udo Landbauer, in Wien aber nicht mit Herbert Kickl koalieren kann oder will.