ANALYSE. Der burgenländische Landeshauptmann möchte Kanzlerkandidat werden. Er begreift wohl das große Dilemma seiner Partei.
Wenn man etwas wirklich durchsetzen möchte, kann es am wirkungsvollsten sein, es zunächst einmal andere aussprechen zu lassen. Unterstellung: Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will Kanzler werden. Dafür sieht er gerade jetzt bestmögliche Voraussetzungen, nachdem sich die ÖVP im freien Fall befindet und die Bundes-SPÖ kaum davon profitiert. Damit er sein Ziel erreichen kann, müssen aber Neuwahlen ausgerufen werden, muss in weiterer Folge er von seinen Genossinnen und Genossen zum Spitzenkandidat der Partei gekürt werden.
Neuwahlen ließ Doskozil soeben seinen Landesparteisekretär Roland Fürst fordern. Zitat: „Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, die Karten neu zu mischen. Mein Appell ist ganz klar an jene Verantwortungsträger, die es in der Hand haben, das sind in erster Linie die Grünen, und wenn die Grünen das nicht kapieren und verstehen, dass es hier um die Republik geht, dann setzen sie sich mit auf die Anklagebank, weil sie dieses türkise, scheinbar korrupte System stützen und schützen. Deshalb mein Appell an die Verantwortungsträger: Neuwahlen sind die einzige Alternative.“
Natürlich gehen Fürst, geschweige denn Doskozil, nicht so weit, zu sagen, wer die SPÖ in allfällige Neuwahlen führen solle. Das Kalkül ist jedoch durchschaubar: Pandemie hin, Pandemie her, die Türkisen liegen am Boden und der eigenen Partei geht‘s nicht gut. Ihre Schwäche ist zugleich die größte Hoffnung des Burgenländers: Erstens, es gibt zu viele unentschlossene Spitzenfunktionäre. Zweitens, es ist nicht klar, worauf die Partei inhaltlich wie strategisch hinaus möchte. Es geht also bei weitem nicht nur um Personelles im Allgemeinen bzw. die Vorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, im Besonderen.
Von den realen Machtverhältnissen her naheliegend wäre, dass der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig das Heft in die Hand nimmt. Er tut es jedoch nicht; und sei es nur aus dem naheliegenden Grund, dass er seit Monaten ohnehin schon viel zu viel zu tun hat und sich dabei (in der Coronapolitik) nebenbei auch bundesweit so sehr profiliert, dass er alle Chancen hätte, Kanzler zu werden – wenn er nur wollen würde.
Die SPÖ befindet sich in einem Dilemma: Sie hätte die Gelegenheit, selbst nicht nur Erste zu werden, sondern auch eine Regierung ohne ÖVP bilden zu können. Die Unentschlossenheit ist jedoch greifbar: Möglich wäre eine Mitte-Links-Koalition mit Grünen und Neos. Ob das zum Beispiel die sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Arbeitnehmervertreter und Gewerkschafter wollen, ist jedoch fraglich. Ludwig hält sich wie erwähnt zurück. Genauso wie Rendi-Wagner. Sie will es sich möglicherweise nicht mit Wählern einer erweiterten Mitte verscherzen, zu der auch Schwarz-Türkise oder vielleicht auch ein paar Blaue zählen können.
Mit Doskozil ist eine solche Koalition wohl nicht zu bekommen: Seine Zielgruppe ist rot-schwarz-türkis-blau. Und unter den derzeitigen Umständen könnte er die SPÖ vielleicht sogar an die Spitze der Wählergunst führen. Das wird er wohl wissen – und das werden wohl auch viele in der Partei wissen, die seine Ausrichtung ablehnen, aber keine Alternative parat haben.
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