ANALYSE. Warum sich Karl Nehammer gerade auch vor dem ÖVP-Parteitag so schwertut, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten.
Es gibt solche und solche Altpolitiker. Die einen äußern sich nach ihrem Rücktritt nicht mehr zum Geschehen oder ihrem Nachfolger. Das ist klug: Lob könnte zum Beispiel gönnerhaft, Kritik vernichtend rüberkommen; beides hat etwas Erniedrigendes. Sebastian Kurz gehört zu den anderen Politikern. Er gibt in der Sonntags-Krone ein dreiseitiges Interview. Natürlich: Die Zeitung spielt mit. Genauso wie Servus TV, wo er nun ebenfalls zur Verfügung stand. Aber: Gerade er, der Kommunikation kann, wie sonst kaum jemand, weiß, was das Ergebnis davon ist, er ist der entscheidende Akteur. Im Klartext: In den Tagen vor dem ÖVP-Bundesparteitag ist er wieder voll da; auch wenn er immer wieder betont, dass er wirklich nie wieder in die Politik zurückkehren wolle.
Sebastian Kurz wird nicht nur als derjenige in die Parteigeschichte eingehen, der ihr größere Probleme bereitet hat, sondern auch als derjenige, der ihr fulminante Wahlerfolge beschert hat. 37,5 Prozent im Jahr 2019! Daran werden nicht wenige gerade heute denken, da die Partei nach fünf Monaten Karl Nehammer bei 25 Prozent oder so liegt.
Das lässt zweifeln an dem Mann. Es mag einerseits ungerecht sein, weil es schon auch eine Leistung ist, die Partei nach all den Vorkommnissen auf diesem Niveau und vor allem in der Regierung gehalten zu haben. Doch Dankbarkeit ist kein politische Kategorie: Nehammer muss liefern, die ÖVP wieder klar auf Platz eins führen und das Kanzleramt verteidigen – sonst ist er weg.
Vor diesem Hintergrund ist jedes Interview, das Kurz gibt, Nehammer schädigend. Dadurch wird dieser immer auch auf ein minderes Maß reduziert. Er kann eigentlich nur verlieren. Was soll er auch tun?
Sebastian Kurz hat der Volkspartei sehr viele Wählerinnen und Wähler beschert, damit aber auch ein Problem: 2017 und 2019 kamen hunderttausende Stimmen, die sie bei den damaligen Nationalratswahlen erhielt, von ehemaligen FPÖ-, Team-Stronach- und BZÖ-Anhängern bzw. überwiegend von „Protestwählern“ sogenannter Mitte-Rechts-Parteien.
Sie müssen bei Laune gehalten werden. Auf Dauer ist das in Regierungsfunktion jedoch unmöglich. Schon Sebastian Kurz war mit der Widrigkeit konfrontiert, aufgrund der Pandemie nicht mehr so wirkungsvoll mit seinem Köder, der bekannten Flüchtlings- und Migrationspolitik, arbeiten zu können.
Für Karl Nehammer ist die Herausforderung noch viel größer: Über Kurz enttäuschte Anhänger einerseits und Fragestellungen wie Teuerung, Teuerung und nochmals Teuerung andererseits würden zu ganz neuen Antworten zwingen, um hier für die ÖVP noch zu retten, was zu retten ist. Auch von daher ist es kein Zufall, dass die Partei zurzeit auf „Vor-Kurz-Niveau“ liegt: Nehammer hat diese Antworten bisher nicht präsentiert.
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