ANALYSE. In nicht einmal einer Stunde hat FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch schon sehr viel Irreführendes präsentiert und auch Fake News geliefert.
Es war fast schon lustig, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl gleich zu Beginn des ORF-Sommergesprächs so getan hat, als lebe Klaus Webhofer, der die Fragen stellte, in einer Welt von gestern. Dass dieser das Gefühl hatte, dass sich Kickl in den vergangenen Wochen eher rar gemacht hat, soll demnach nur damit zu tun haben, dass er auf seinen Kanälen präsent war – und nicht in klassichen Medien, die er nicht mehr braucht. Ätsch, bätsch!
Was für ein Bluff: Kickl mag allein auf Facebook über 300.000 Follower haben. Das sind viele. Vor allem ist es seine Zielgruppe, die ihm auch gerne auf den Leim geht. Aber um eine größere Masse zu erreichen, braucht auch er zum Beispiel ein ORF-Sommergespräch: Dort hat er schon unmittelbar 706.000 Zuseher, kann er, inklusive Berichterstattung auf diversen Nachrichtenkanälen, Millionen ansprechen. Das ist selbst für ihn unverzichtbar.
Aber der Mann ist halt ein Meister darin, allerhand so darzustellen, dass man es für wahr halten könnte. Zumal er zum Beispiel unwidersprochen behaupten kann, dass die blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen ausschließlich am Machthunger der ÖVP gescheitert seien; und so gar nicht an ihm.
Das glaubt er selbst nicht. Seine Parteikollegin, die Salzburger Landeshauptfrau-Stellvertreterin Marlene Svazek, hat es damals in einem SN-Interview ziemlich selbstkritisch dargestellt. Sie hat gemeint, dass man intern reden müsse. Es brauche Kompromissfähigkeit, erklärte sie in seine Richtung, 100 Prozent Umsetzung gehe sich nicht aus. Und: „Man kann jetzt sagen, lieber regiere ich nicht, als Kompromisse zu schließen. Ich meine aber, Kompromisse sind nötig, weil es darum geht, dass das Land nicht in altbewährter Manier gegen die Wand fährt.“
Das war ein klarer Widerspruch zu dem, was er da im Sommergespräch erzählte. Wo er überhaupt sehr viel zuspitzte, um nicht zu sagen dichtete.
Die Arbeitslosigkeit explodiere, sagt er. Wahr ist: Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, die Arbeitslosigkeit explodiert jedoch nicht. Wie hier ausgeführt, ist sie niedriger als vor zehn Jahren, geschweige denn in der Coronakrise. Es ist ein Phänomen, das Kickl nicht wahrnehmen mag, weil er sich darauf spezialisiert hat, um Wähler zu werben, indem er Untergangsbilder zeichnet; das ist sein Geschäftsmodell.
Wie zum Beispiel auch im Zusammenhang mit Firmenpleiten. Sie würden ebenfalls explodieren, ließ er im Sommergespräch wissen. Wahr ist: Viele Unternehmen haben massiv zu kämpfen. Laut einer Nationalbankuntersuchung (vgl. Bericht dazu) werden im Zusammenhang mit Pleiten aber eher „Krisennarrative“ gepflegt: Gemessen an der Gesamtzahl der Unternehmen habe die Insolvenzrate 2019 0,9 Prozent und im vergangenen Jahr 1,1 Prozent betragen. Das sind gar nicht um so viel mehr. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es zwischendurch wegen massiver Hilfen deutlich weniger waren, wobei auch einige künstlich am Leben erhalten wurden, die jetzt sterben; dass es also allein schon daher jetzt mehr sein müssen.
Österreich schicke Milliarden in die Ukraine, so Kickl. Man soll nicht unterschätzen, was indirekt über die EU läuft. Bilateral waren es 2022 bis 2024 insgesamt 2,62 Milliarden Euro (vgl. Bericht dazu). Also weniger als eine Milliarde pro Jahr.
Etwas mehr als eine Milliarde pro Jahr kostete zuletzt auch die Mindestsicherung, die Kickl kürzen will, um das Budget zu sanieren. Es ist, als wolle man abnehmen, indem man darauf verzichtet, Wasser zu trinken: Selbst wenn er die Sozialhilfe ganz streichen würde, würden nur null-komma-zwei Prozent des BIP zusammenkommen. Insofern blufft er auch hier.
Förderungen will der FPÖ-Chef zusammenstreichen. Das hört sich immer gut an, damit ist einst schon Sebastian Kurz dahergekommen. Geschehen ist nichts. Und auch bei Kickl muss man an der Ernsthaftigkeit zweifeln. Relevant wäre Konkretes, das er nicht liefert. Von den direkten Förderungen (über neun Milliarden Euro) geht der relativ größte Teil in die Landwirtschaft. Da will ausgerechnet er sparen? Bei urtypisch Österreichischem?
Bei den indirekten Förderungen (über 25 Milliarden Euro) geht es vor allem um Steuererleichterungen, durch die der Staat auf Einnahmen verzichtet. Über sieben Milliarden Euro entfallen allein auf den reduzierten Mehrwertsteuersatz von zehn Prozent. Über sieben Milliarden! Wichtiger: Populist Kickl, der Förderungen senken möchte, will zugleich die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen, die Förderungen in Wirklichkeit also erhöhen. So viel Widerspruch kann man schwer erfinden.
Pensionisten hat der FPÖ-Chef ziemlich pauschal als Menschen dargestellt, die in prekären Verhältnissen leben. Tatsächlich ist (relativ und unter Umständen auch absolut) arm, wer zum Beispiel nur eine Mindestpension hat. Und tatsächlich haben zu viele aufgrund der Teuerung noch mehr zu kämpfen. Das ist keine Frage. Der Wohlstand ist aber gerade auch bei Älteren alles in allem hoch im europäischen Vergleich. Wäre ja noch schöner, wenn es bei den hohen Aufwendungen für Pensionen gemessen an der Wirtschaftsleistung anders wäre: Unter ab 65-jährigen sind hierzulande rund 17 Prozent von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. In Deutschland sind es über 20.
Zur Budgetsanierung hat Kickl keine bauchbare Idee. Bereits Erwähntes wie die Mindestsicherung bringt viel zu wenig dafür. Bei „Asyl“ im weitesten Sinne ist ebenfalls so gut wie nichts zu holen. Wie das industrienahe Institut Eco Austria festgestellt hat, dürften alle Flüchtlinge, die seit 2015 gekommen sind, mittlerweile gleich viel „ins System“ einzahlen, wie sie herausbekommen. Unterm Strich kosten sie jedenfalls so gut wie nichts mehr.
Kickl fordert immer, endlich zu handeln und nicht nur zu reden – und selbst liefert dann im Sommergespräch lediglich den Vorschlag, unterschiedliche Bereiche mit anderen Ländern zu vergleichen und sich dann an den besten zu orientieren. Es ist zu billig. Davon wird seit Jahrzehnten geredet und es ist nur Ablenkung, um selbst nicht sagen zu müssen, wo jetzt wirklich angesetzt werden sollte.
Die US-Zölle gefallen Kickl zwar nicht, er findet gegen Ende des Sommergesprächs aber, dass Donald Trump schon seine Gründe haben wird. Als handle Trump im Interesse der Vereinigten Staaten. Was Unsinn ist: „Trumps Zollpolitik schadet (auch) der US-Wirtschaft“, kann man nachlesen, wenn man will.