Christian Kern macht einen Josef Pröll

ANALYSE. Der SPÖ-Vorsitzende erkennt, dass seine Partei eine Kurskorrektur nötig hätte. Wie der ehemalige ÖVP-Obmann droht er dabei jedoch an seinen eigenen Leuten zu scheitern. Und das hat Gründe. 

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ANALYSE. Der SPÖ-Vorsitzende erkennt, dass seine Partei eine Kurskorrektur nötig hätte. Wie der ehemalige ÖVP-Obmann droht er dabei jedoch an seinen eigenen Leuten zu scheitern. Und das hat Gründe. 

„Wenn wir uns nur auf den innerstädtischen Bereich konzentrieren und ausschließlich die akademische Bildungsschicht ansprechen, bewegen wir uns weg von unseren klassischen Wählerklientel“, sprach der burgenländische Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil nach der Nationalratswahl im vergangenen Herbst. Womit er möglicherweise auch schon verriet, dass er eines nicht sieht; dass sich nämlich die gesellschaftlichen Verhältnisse ganz massiv ändern. Und dass sich die Partei daher bewegen muss, wenn sie nicht irgendwann ganz verkümmern möchte. So ist es nämlich. Christian Kern kann man unterstellen, dass er das erkannt hat. Und dass er dabei nicht ganz erfolglos war; doch jetzt, da der Doskozil’sche Geist auch in der Wiener SPÖ Einzug hält, ist es womöglich zu spät.

Die alte SPÖ ist eine Arbeiterpartei. Im Burgenland mag sie das nach wie vor sein. Bei der Landtagswahl 2015 holte sie in dieser Wählergruppe ganze 53 Prozent. Also meint Doskozil, der Hans Niessl eines Tages an der Landesspitze ablösen soll, dass man sich weiter ganz darauf konzentrieren muss. Was schlüssig klingt: Bei der Wiener Gemeinderatswahl schaffte die SPÖ bei den Arbeitern wenige Monate später gerade einmal 31 Prozent; dort kamen die Freiheitlichen auf 53 Prozent. Also will Michael-Häupl-Nachfolger Michael Ludwig das ganz offensichtlich wieder umdrehen, wozu ihm die burgenländischen Genossen die Daumen drücken.

Ganz schlimm ist es nach dieser Denkschule auf Bundesebene: Unter Christian Kern kam die SPÖ bei der Nationalratswahl 2017 bei den Arbeitern auf nur noch 19 Prozent, während die Freiheitlichen auf 59 Prozent abhoben. Ein Drama. Oder etwa nicht? Die Sache ist relativ: Der Anteil der Arbeiter geht zurück. Die Zahl stagniert zwar bei einer Million, es gibt aber immer mehr Erwerbstätige – und so hat die Zahl der Angestellten und öffentlich Bediensteten allein seit 1996 um die Hälfe auf 2,52 Millionen zugenommen.

Worauf wird eine Partei, die gerne eine Art „Volkspartei“ (im Sinne von Masse) wäre, also achten? Erraten: Dass sie auch die wachsenden Wählergruppen ansprechen kann. Und da war Kern bei der Nationalratswahl nicht ganz erfolglos; im Gegenteil, bei Angestellten konnte er 2017 trotz aller widrigen Umstände den SPÖ-Anteil halten – und bei den Selbstständigen laut SORA-Analyse verdreifachen. Ganz zu schwiegen von den Akademikern. So viele, wie im vergangenen Herbst, hatte die Partei zuvor noch nie gewonnen. Und das ist, man kann es nicht oft genug wiederholen, eine relevante Wählergruppe geworden; allein in Wien zählt jeder Vierte dazu.

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Allein: Was Kern erreichte, war in Summe nicht genug. Und vor allem: In der Partei hat sich sein Kurs nicht durchgesetzt. Die Folge: Jetzt übernehmen die Ludwigs und Doskozils. Was in gewisser Weise an Josef Pröll erinnert: Vor etwas mehr als zehn Jahren hat er in der ÖVP erkannt, dass die Partei als Beamten-Bauern- und Kammern-Bewegung verloren ist. Also hat er einen „Perspektivenprozess“ geführt, in dem sich vor allem junge Leute Gedanken über eine inhaltliche Erneuerung machten. Die Sache scheiterte jedoch. Schon die Homo-Ehe ging beharrenden Kräften zu weit.

Dass ein dritter Weg nötig ist, wird niemand bestreiten können; man muss ihn jedoch konsequent verfolgen.

Prölls entscheidende Schwäche war wohl, dass er die großen Linien nicht skizzieren, geschweige denn umsetzen konnte. Wie Kern eben jetzt in der Sozialdemokratie: Dass ein dritter Weg nötig ist, wird niemand bestreiten können; man muss ihn jedoch konsequent verfolgen. Sonst geraten die Altvorderen in Panik und sorgen letzten Endes dafür, dass sich gar nichts ändert.

Außer, dass der Chef gehen muss. Wie Josef Pröll, der 2011 nach nur zweieinhalb Jahren als ÖVP-Obmann hinschmiss. Wobei von seinen Bemühungen indirekt etwas zurückgeblieben ist, was nun auch im Falle der SPÖ nicht denkunmöglich erscheint: Dass in der Perspektivengruppe zwar viele tolle Ideen behandelt wurden, diese dann aber gekübelt wurden, hat Beteiligte so bitter enttäuscht, dass das eine neue Bewegung mit begründete; die Neos nämlich.

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