ANALYSE. Die Pandemie durchkreuzt einmal mehr allerhand. Zumindest in einer Hinsicht kann das Türkisen jedoch recht sein.
Wer redet heute noch von der „größten Steuerentlastung“ der Geschichte, die die Bundesregierung erst vor einem Monat präsentiert hat? Es fällt sogar schwer, sich daran zu erinnern. Spin-Doktoren wird das ärgern. Geplant war wohl eher, damit durchzustarten und gute Stimmung zu verbreiten. Zunächst sind jedoch Hausdurchsuchungen in Kanzleramt, ÖVP-Zentrale und Finanzministerium dazwischengekommen; sowie diverse Chat-Protokolle, durch die Sebastian Kurz (ÖVP) so sehr unter Druck geriet, dass er als Kanzler zurücktreten musste. Das war schlecht für die Wirkung, die durch die Steuerreform entfaltet werden sollte, und noch schlechter für die Türkisen.
Mittlerweile dürfen sie wieder Hoffnung schöpfen. Die Chats sind fürs Erste vergessen. Im Vordergrund steht einmal mehr die Pandemie. Österreich steuert auf ähnliche Verhältnisse zu wie im vergangenen Herbst. Vor allem auch, was die Auslastung der Spitäler angelangt. Das löst Sorge, Wut, Enttäuschung und/oder Erschöpfung in weiten Teilen der Bevölkerung aus. Regierende in Bund und Ländern sind überfordert. Die meisten stehen katastrophal da. Auch Schwarz-Türkise, siehe Oberösterreich. Das ist das eine.
Das andere ist eben die Sache mit den Chat-Protokollen: Hier hatte es ohnehin schon eine üble, sehr österreichische Entwicklung gegeben. Es gab kaum noch eine ernsthafte Auseinandersetzung über die politische Verantwortung von Sebastian Kurz und den Seinen. Sie selbst waren dabei, eine Wahrnehmung durchzusetzen, wonach es nur um ein paar unglückliche Formulierungen – wie Arsch oder Vollgas – gegangen sei. Diese Unwörter haben sie gerne auch bedauert. Für den ÖVP-Ethikrat war die Sache damit gegessen. Für schwarz-türkise Landeshauptleute wie den Salzburger Wilfried Haslauer ebenfalls.
Politisch ist Sebastian Kurz dabei, das Ganze auszusitzen. Insofern hilft ihm die nunmehrige Überlagerung durch die Pandemie. Die rechtliche Dimension steht auf einem anderen Blatt. Hier ist eine konsequente Justiz am Werk, die mit allen Mitteln diskreditiert wird.
Das Gefährliche ist aber eben die politische Dimension: Wenn sie kaum noch wahrgenommen wird, ist letztlich alles lässlich. Wie ein Organmandat, das man für eine Verkehrsübertretung ausgefasst hat, die man nicht bedauert, sondern unter Umständen eher noch stolz herumerzählt.
Der Beitrag der „Message Control“-Abteilung und mehr noch der Pandemie zum Vergessen ist nicht alles. Entscheidend ist auch, was an politische Verantwortung eingefordert wird. Das ist eine Aufgabe, die viele betrifft. Schwarz-Türkise werden sie kaum wahrnehmen, Grüne sich zurückhalten, nachdem die Koalition, an der sie beteiligt sind, laut Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) ohnehin schon „auf dünnem Eis“ steht. Medien kämpfen damit, dass die allgemeine Aufmerksamkeit schon wieder ganz woanders ist.
Dennoch: Es gibt nur Einzelaktionen wie die sozialdemokratische Postkartenaktion an die Adresse der ÖVP unter dem Motto „Her mit der Kinderbetreuungs-Milliarde“. Das ist eine Reaktion darauf, das sich Kurz einst darum bemüht hat, eine solche zu verhindern, damit Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nur ja keinen Erfolg für sich verbuchen können. Die Neos haben wiederum einen Entschließungsantrag für ein neues Medientransparenzgesetz eingebracht.
Was fehlt, ist ein breites und andauerndes Herausarbeiten dessen, was politisch unentschuldbar ist. Und ein umfassendes Reformpaket, das zum Beispiel transparente Parteikassen ebenso garantiert wie viel härtere Strafen bei Verstößen wie der Überschreitung von Wahlkampfkostenobergrenzen. Oder ein Zur-Rede-Stellen von Sebastian Kurz, so gut es eben möglich ist. Solche Dinge bleiben aus. Und daher sollte man sich nicht wundern, wenn eines nahen Tages Gras über türkise Machenschaften gewachsen sein wird.
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