Brandstifter:innen

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ANALYSE. „Volkskanzler“ werden und allen „Normalität“ diktieren zu wollen ist grundsätzlich problematisch. In einer Gesellschaft, die immer vielfältiger wird, werden damit jedoch schwerwiegende Konflikte riskiert. Bundespräsident Van der Bellen hat recht.

Schwer zu sagen, ob der Anteil der Katholiken in Österreich schon auf weniger als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung gesunken ist. Ungefähr jetzt müsste es so weit sein: Bei sinkender Tendenz waren laut Kirchen-Statistik vor zwei Jahren noch 4,8 von neun Millionen Menschen römisch-katholisch. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Erwähnt gehört dabei, dass Katholiken nicht so sehr durch Muslime verdrängt werden, sondern sich gewissermaßen selbst reduzieren. Bereits zwei Millionen Menschen sind konfessionslos.

Was hat das alles mit Politik zu tun? Sehr viel. Je mehr eine Welt von gestern schwindet, desto mehr scheinen sich Politikerinnen und Politiker daran zu klammern; desto mehr geben sie zumindest vor, dafür zu kämpfen.

Da war sich der oberösterreichische ÖVP-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer vor wenigen Tagen nicht zu dumm, so zu tun, als müsse er „christliche Werte“ verteidigen. Und zwar aufgrund einer Debatte, die in Großbritannien über das Wort „Vater“ im Gebet „Vater Unser“ laufe. Beim „Vater“ müsse es bleiben, so Hattmannsdorfer. Als hätte das hierzulande irgendjemand infrage gestellt, als könnte man gesetzlich festlegen, wie Gebete formuliert sein müssen. Als würde es hier um einen christlichen Wert gehen. Es ist kaum zu glauben.

Das Ganze ist auch Ausdruck einer vielschichtigen Krise. Zum einen gibt es möglicherweise Menschen, die wirklich ein Identitätsproblem haben, weil etwas verloren geht. Teile der gesellschaftlichen Mitte tendieren in turbulenten Zeiten wie diesen jedenfalls dazu, sich stärker nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit zu sehnen.

Nicht nur Leute wie Hattmannsdorfer versuchen kampfhaft, sie zu umwerben. Viel mehr noch tun es FPÖ-Chef Herbert Kickl als selbsternannter „Volkskanzler“ oder Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) durch ihre „Normalitätsdebatte“.

„Normal“ ist gerade in einer immer diverser werdenden Gesellschaft gar nichts mehr. Nicht einmal die Kirche im Mostviertel oder wo auch immer in Niederösterreich. Oder ein Dorfwirtshaus, in dem es ein knuspriges Schnitzel gibt. Ja selbst beim Hinweis auf eine arbeitende Bevölkerung muss man vorsichtig sein: Meinungsforscher berichten, dass so viele Leute wie noch nie den Wunsch haben, weniger zu arbeiten und mehr zu leben.

Wenn, dann gibt es unendlich viele verschiedene Normalitäten, geht mit der Behauptung, es existiere nur eine, etwas einher, was gegen eine Mehrheit gerichtet ist. Insofern ist es kein Zufall, dass das mit Mikl-Leitner von der Vertreterin einer Nur-noch-40-Prozent-Partei (in NÖ) betrieben wird. Sie bemüht sich, über diesen Minderheitsanteil hinwegzutäuschen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat gut daran getan, in seiner Rede zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele auf Dimensionen einzugehen, die mit diesen unsäglichen Normalitätszugang einhergehen. Und er wird von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nur bestätigt, wenn dieser erwidert, dass er sich einen solchen nicht nehmen lasse und trotzig betont, dass Schnitzel essen erlaubt sein müsse. Er bringt damit unfreiwillig deutlich gefährliche Einfältigkeit zum Ausdruck. Oder wenn die niederösterreichische ÖVP damit reagiert, dass sie die Überparteilichkeit von Van der Bellen anzweifelt. Das kann sie: Repräsentanten des politischen Systems diskreditieren. Gestern einen Journalisten (Florian Klenk), heute das Staatsoberhaupt.

Immerhin hat Van der Bellen auch den problematischen Zugang von SPÖ-Chef Andreas Babler angesprochen, der eine Art „Wir sind das Volk“-Strategie fährt. Wo führt das hin? Weit übertroffen wird das durch Kickl: Er, der sich als „Volkskanzler“ ausgibt, war sich vor wenigen Tagen nicht zu blöd, zu erklären, dass Karl Nehammer nicht mehr Kanzler wäre, wenn es nach dem Volk gehen würde. Was nicht falsch sein mag. Nur: Wenn es nach dem Volk gehen würde, würde Kickl nie Kanzler werden. In Umfragen spricht sich gerade einmal ein Fünftel für ihn aus, bei der Erhebung zum jüngsten APA/OGM-Vertrauensindex erklärten sage und schreibe 70 Prozent, ihm kein Vertrauen zu schenken.

Es ist grundsätzlich eine demokratische Zumutung, wenn einer durch den Begriff „Volkskanzler“ einen absolutistischen Anspruch erhebt, so tut, als werde er von allen gewollt und könne er allein daher für alle regieren, wie es ihm gefällt. Es ist jedoch atemberaubend, wenn das einer macht, der so unten durch ist bei einer Mehrheit der Wählerschaft, wie Kickl. Dann wird das durch die relative Mehrheit seiner Partei in Umfragen und die Möglichkeit, dass sie nach einer Wahl mit Hilfe einer anderen Partei zu einer absoluten Mehrheit auf parlamentarischer Ebene – bzw. er legitim ins Kanzleramt – kommen könnte, nicht besser.

Warum? Weil dieser „Volkskanzler“ automatisch in einem wachsenden Spannungsverhältnis zu einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft steht. Weil Konflikte so nur verstärkt werden können. Anders ausgedrückt: Immer notwendiger und immer mehr gepflegt werden müsste exakt das Gegenteil, nämlich ein Geist, der einer liberalen Demokratie mit fundamentalen Grund- und Bürgerrechten gerecht wird. Hier wäre das Abnormale normal und der Bundeskanzler ein Bundeskanzler, der Widerspruch respektiert.

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