ANALYSE. Das künftige Staatsoberhaupt findet alle Rahmenbedingungen vor, um mächtiger als der Bundeskanzler zu werden. Das unterstreicht eine Analyse von Manfried Welan.
Bei der Lektüre von „Der Bundespräsident – Kein Kaiser der Republik“ muss man sich immer wieder vergewissern, ob das Buch denn wirklich vor 24 Jahren erschienen ist. Der Autor, Manfried Welan, beschreibt Entwicklungen, wie wir sie heute erleben; vor allem sind die Rahmenbedingungen für eine „Präsidentschaftsrepublik“, die er skizziert, auf Punkt und Beistrich erfüllt. Fehlt nur noch der Amtsinhaber, der die Möglichkeiten dazu nützt oder, wie Kritiker sagen würden: missbraucht.
Österreichische Bundespräsidenten haben sich über die Jahrzehnte auf eine so bescheidene Rolle zurückgezogen, dass vor allem die Regierung freies Spiel hatte. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Was wäre beispielsweise gewesen, wenn der damalige SPÖ-Vorsitzende Bruno Kreisky mit der absoluten Mehrheit seiner Partei eines Tages vom Kanzler- ins Präsidentenamt gewechselt wäre? Welan geht dieser Frage nach und kommt zum Schluss, dass daraus ein sehr, sehr starkes Staatsoberhaupt hätte werden können, das sich quasi Vertraute in der Regierung als Gehilfen hält.
Nun, mit einem solchen Szenario muss man sich nicht weiter beschäftigen. Zumal ein anderes viel eher Realität werden könnte: Die zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft begünstigt laut Welan die Entwicklung einer Präsidentschaftsrepublik. Was im Übrigen zeigt, dass noch keine Bundespräsidentenwahl so wesentlich war, wie jene, die am 4. Dezember zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer stattfinden wird; der Gewinner wird jedenfalls sehr einflussreich werden.
Ja, es könnte dazu kommen, „dass dem Amt des Bundespräsidenten mehr Gewicht in Politik und Geschichte Österreichs zukommt als dem Bundeskanzler“.
Die Sache ist relativ einfach: Sehr viel spricht dafür, dass es nach der nächsten Nationalratswahl mehrere Koalitionsvarianten geben wird; dass vielleicht nicht einmal zwei Parteien für eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene ausreichen, sondern drei notwendig sind. Unter diesen Umständen kommt dem Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung eine entscheidende Rolle zu. Welan schreibt gar: „Die politische Entscheidung darüber, wer regiert und wer opponiert, läge nicht beim Volk und dem Ergebnis der Nationalratswahl, sondern beim Bundespräsidenten. Es könnte den Auftrag zur Regierungsbildung stärker als je zuvor mit Auflagen hinsichtlich der Zusammensetzung und der Politik der Bundesregierung verbinden. Er könnte, wenn nicht Richtlinien der Politik, so doch die allgemeine Richtung der Politik bestimmen.“
Seine Macht schöpft der Bundespräsident vor allem auch daraus, dass er als einziges Staatsorgan direkt und noch dazu mit absoluter Mehrheit vom Volk gewählt ist; dass er praktisch nicht absetzbar ist und so weiter und so fort. All dies Umstände können ihn „über Mittel- und Kleinparteien und ihre Führer“ hinauswachsen lassen, wie Welan analysiert. Ja, es könnte dazu kommen, „dass dem Amt des Bundespräsidenten mehr Gewicht in Politik und Geschichte Österreichs zukommt als dem Bundeskanzler“.
> Buchtipp. Manfried Welan: Der Bundespräsident – Kein Kaiser in der Republik. Böhlau-Verlag, Wien, 1992.