ANALYSE. Warum Landeshauptleute verbindliche Renaturierungsziele ablehnen. Zwei Beispiele aus dem Wirkungsbereich von Johanna Mikl-Leitner und Hans Peter Doskozil.
Auf der Umfahrung Wieselburg (NÖ) ist immer wieder „kein Verkehr“, wie man so sagt. Es steht für so wenig, dass man verunsichert ist: Hat man eine Sperre übersehen? Die Umfahrung gibt es seit drei Jahren, sie ist 12,4 Meter breit und dreispurig. Für jede Fahrtrichtung steht wechselweise ein zweiter Fahrtstreifen zur Verfügung, damit sichere Überholvorgänge möglich sind, wie der ÖAMTC aufklärt.
Das Ganze wirkt in Summe wie eine Autobahn, zumal es auch die klassischen Auf- und Abfahrten gibt. Vor allem aber wirkt es wie aus der Zeit gefallen: Gebaut wurde die über acht Kilometer lange Umfahrung in großzügiger Entfernung zu Wieselburg mitten durch Ackerflächen und einen Wald.
War das in dieser Form nötig? Hätte sich ein Verkehrsproblem für die örtliche Bevölkerung nicht anders lösen lassen? Zumindest bei der Eröffnung kümmerte das niemanden. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach von einem „sensationellen Projekt“, ihr Parteikollege Karl Gerstl, der damals Bürgermeister von Wieselburg-Land war, von einem „Jahrtausendprojekt“ sowie Josef Leitner, Sozialdemokrat und Chef der 4800-Einwohner-Gemeinde Wieselburg, von einem „emotionalen und sehr schönen Moment.“
Geschichten wie diese lassen Zweifel am Sinn für Natur- um Klimaschutz aufkommen, Widerstände, die vor allem Landeshauptleute gegen Versiegelungsobergrenzen und verbindliche, europäische Renaturierungsziele leisten, bestätigen ebendiese: Derlei stünde ihnen bei dem im Weg, was ihnen wichtig ist: Möglichst viele Straßen- und andere Bauprojekt verwirklichen, möglichst viele Menschen damit beglücken. Bürokratie oder Gefährdung der Landwirtshaft, für die bei der Renaturierung ohnehin Ausnahmen vorgesehen wären, dienen ihnen bei ihren Widerständen nur als Vorwand.
Bei der EU-Renaturierungsverordnung sind die sozialdemokratischen Landeshauptleute Michael Ludwig (Wien) und Peter Kaiser (Kärnten) jetzt ausgeschert. Es brachte ihnen Schlagzeilen: Sie seien doch dafür.
Vielleicht waren ihnen nur diese Meldungen wichtig, glaubten sie, so von den Grünen, die gerade ihre Not mit Lena Schilling haben, ein paar Wähler zur SPÖ locken zu können. Ernstgemacht haben sie bisher jedenfalls nicht. Sie haben lediglich die Vorsitzende der LH-Konferenz, Mikl-Leitner, gebeten, eine offene Diskussion darüber durchzuführen.
Wenn sie es ernst gemeint hätten, hätten sie festgestellt, dass sie für die Renaturierungsverordnung sind und daher konsequenterweise auch den bisherigen Landeshauptleutekonsens dagegen aufgekündigt. Das haben sie bisher jedoch nicht getan.
Trotzdem scheinen sie dem dritten sozialdemokratischen Landeshauptmann, dem Burgenländer Hans Peter Doskozil, schon zu weit gegangen zu sein. Er schloss sich ihnen jedenfalls nicht an. Er hat andere Prioritäten: Wer im Seewinkel unterwegs ist, nimmt zurzeit weniger EU-Wahlwerbung als großflächige Plakate wahr, auf denen Doskozil mit zwei Genossen kundtut: „Krankenhaus Gols JETZT! Deine Gesundheit kann nicht warten!“ Es ist nicht als Forderung gemeint.
Doskozil stellt sich hier gönnerhaft dar, er regiert im Land mit absoluter Mehrheit und zieht den Bau eines weiteren Krankenhauses für das Burgenland durch. Und zwar nicht irgendwo, im Sinne verdichteter Bauweise etwa in Gols, sondern fernab aller Siedlungen am Ortsrand, im Grünen – auf Natura 2000-Gebiet.
Natura 2000 ist eine europäische Initiative, es steht für Gebiete, die dem Schutz gefährdeter Pflanzen- und Tierarten sowie ihrer natürlichen Lebensräume dienen. Quasi eine Vorstufe von Renaturierung. Hier sollte gesichert werden, was noch ist.
PS: Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), der die Renaturierungsverordnung ebenfalls ablehnt, hat jüngst in der ZIB2 gemeint, dass er bei diesen Fragen nicht nur auf Naturschützer hören könne. Müsste er eh nicht, wenn es ihm um die Sache gehen würde: Der Initiative „Mehr Grips“, der u.a. Infineon-Chefin Sabine Herlitschka, AMS-Vorstand Johannes Kopf, WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr, Fiskalratschef Christoph Badelt und Industriellenvereinigung-Generalsekretär Christoph Neumayer angehören, hat vor wenigen Tagen Vorschläge zur ökologischen Transformation vorgelegt. Darin heißt es unter anderem: „Festlegung von verbindlichen Grenz- und Zielwerten für Ver- und Entsiegelung.“ Und: „Mutige Renaturierung.“