ANALYSE. Eher als politische Gegner werden dem neuen SPÖ-Vorsitzenden eigene Genossen gefährlich. Und er sich selbst.
Die Andreas Babler-Kurzgeschichte, die bisher geschrieben worden ist, lautet ungefähr so: In der Sozialdemokratie herrschte jahrzehntelang Pragmatismus. Man fand sich damit ab, dass an der ÖVP kein Weg vorbeiführt. Dass sie das Zentrum der österreichischen Politik bildet. Und dass sich die ÖVP wiederum an der FPÖ orientiert. Aber das ist ein anderes Kapitel. Der Pragmatismus hat die Sozialdemokratie kraftlos gemacht. Bis Babler gekommen ist und Genossinnen und Genossen vom Boden- bis zum Neusiedlersee (sinngemäß) zugerufen hat, dass es Zeit für eine selbstbewusste Linke sei; dass es aufgrund der Themenlage möglich sei, so stark zu werden, dass sich am Ende alle anderen danach auszurichten haben.
Was Andreas Babler in den vergangenen Wochen damit ausgelöst hat, wirkte in größeren Teilen der Sozialdemokratie so stark, dass sie etwa über seine Aussagen zur EU, die er vor drei Jahren getätigt hat, hinwegsehen. Dass es für sie auch nebensächlich ist, wie er das jetzt zum Beispiel mit dem Bundesheer und der Verteidigungspolitik sieht. Vor allem aber, dass hier eine parteiinterne Basisbewegung entstanden ist, die das, was Babler als Establishment bezeichnet, überrollt hat. Dass also weder Pamela Rendi-Wagner Vorsitzende blieb noch durch Hans Peter Doskozil abgelöst wurde, sondern er die Führung übernehmen konnte. Im Zentrum stand die Erzählung, dass es an der Zeit sei, wieder sozialdemokratische Politik zu machen.
Nach wenigen Tagen wird klar: Das System schlägt zurück. Wobei man differenzieren muss: Es gibt die Doskozil-Unterstützer, wie den Salzburger Landesparteivorsitzenden David Egger, der gleich einmal Bablers Forderung nach einer 32-Stunden-Woche öffentlich zurückweist. Es gibt jene, die sich im Führungskampf nach außen hin bedeckt hielten, wie den Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreter Georg Dornauer, der im Unterschied zu Babler am liebsten mit der ÖVP koalieren würde auf Bundesebene und seinen Asylkurs nicht aufweichen möchte (wobei wenn man nicht weiß, ob Dornauer überhaupt einen Kurs hat).
Und es gibt die Rendi-Wagner-Unterstützer, die schließlich für Babler waren, um Doskozil zu verhindern. Zu ihnen gehört der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig: Seine Landesparteisekretärin Babara Novak hat sich gerade distanziert zu Plänen geäußert, künftig generell Mitglieder den oder die Vorsitzende küren sowie über Koalitionsübereinkünfte abstimmen zu lassen.
Das ist keine Überraschung: Zwischen dem Machtverständnis von Babler und der -Machtausübung durch Ludwig liegen Welten. In einem Video hat Babler vor eineinhalb Jahren beispielsweise gemeint, dass ein „Systembruch“ notwendig sei. Dabei sprach er sich ausdrücklich dagegen aus, sich Macht über Medienkooperationen zu organisieren. Namen nannte er keine. Es ist jedoch klar: Ludwigs Wien steht, wie sonst nur die Bundesregierung, exakt für ein solches System, dem Babler den Kampf angesagt hat.
Mit einem solchen Establishment, an dessen Spitze er nun formal steht, wird es der 50-Jährige kaum weit kommen können. Das ist ein Problem für ihn: Er müsste sich auf Leute wie Egger, Dornauer und Ludwig verlassen können. Er müsste sie dazu bringen, mitzutragen, was er sich vorstellt. Eine Basisbewegung wird zu wenig sein, um Druck auszuüben. Wenn keine Mitgliederbefragung ansteht, fehlt ihr das Gewicht, das notwendig wäre, diese Herren „auf Linie“ zu bringen.
Das geht nur, wenn Babler einen Erfolg vorzuweisen hat, der ihm Kraft verleiht. Und weil nicht so bald gewählt wird, muss dieser Erfolg durch entsprechende Umfragewerte zum Ausdruck kommen. Das würde die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder, unter anderem also Landesparteivorsitzende, am ehesten überzeugen oder zumindest besänftigen.
Das herbeizuführen könnte für Babler schwieriger werden als die Basisbewegung in den eigenen Reihen. Immerhin geht es darum, 30 Prozent der Wähler:innen und mehr zu überzeugen. Das ist eine schwierige Übung. Geht es da doch auch um Leute, die zuletzt vielleicht grün, pink oder türkis gewählt haben; oder mit dem Gedanken gespielt haben, die Freiheitlichen zu unterstützen. Das ist keine Übertreibung: Babler müsste Stimmungswähler ansprechen, wie sie immer häufiger werden. Die in Salzburg einst zum Beispiel die FPÖ und jetzt KPÖ plus gewählt haben.
Diesbezüglich könnte es sich Babler schwer machen, wenn er sich nicht auf das Thema beschränkt, das ihm wichtig ist, sondern bereitwillig unzählige Themen anreißt; und wenn er sich einmal so und einmal so äußert (zu Marx, zur EU und zum Bundesheer etwa). Insbesondere die ÖVP mag das in Person von Generalsekretär Christian Stocker dümmlich aufgreifen, indem er von „Nordkorea“ spricht in Bezug auf Babler. Das sollte man in seiner Wirkung jedoch nicht unterschätzen. Österreich ist in Summe noch immer ein sehr konservatives Land. „Links“ ist da eher ein Schimpfwort als „rechts“.