ANALYSE. Warum der Vizekanzler die Grünen ein weiteres Mal in eine Nationalratswahl führen möchte – und diese Aufgabe nicht Gewessler überlässt.
Die Regierungsbeteiligung wird für die Grünen nicht umsonst gewesen sein. Sie sind um Erfahrungen reicher und haben das eine oder andere durchsetzen können. In Umfragen halten sie im Übrigen noch immer gut zehn Prozent. Das ist deutlich weniger als bei der Nationalratswahl 2019 (13,9 Prozent), aber kein Totalabsturz, wie ihn die Freiheitlichen als Juniorpartner der ÖVP hingelegt haben. Einerseits.
Andererseits: Von der Papierform her müssten sie aufgrund es Zustandes der Sozialdemokratie eher bei 15 Prozent oder mehr liegen. Ein solches Potenzial könnten sie vielleicht ausschöpfen, wenn sie nicht im Regierungsgeschäft gefangen wären oder sich gefangen halten lassen würden; wenn sie zum Beispiel also auf die Schwurbelei von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zur Klimakrise reagieren würden, wie es Erwartungen ihrer Anhängerschaft nahekommt. Aber das leisten sie sich nicht. Sie wollen keinen Koalitionsbruch riskieren und haben in Wirklichkeit auch niemanden in ihren Reihen, der sich diesbezüglich hervortun würde. Mit einer Ausnahme: Im Korruptions-U-Ausschuss hat die Abgeordnete Nina Tomaselli gewisse Spielräume genützt. In Wirklichkeit würden die Grünen aber zehn Tomasellis brauchen, die weder Ministerin noch Klubobfrau sind.
Und eine Person, die sich über den Tag hinaus mit den Perspektiven auseinandersetzt. Sie sind frustrierend für die Partei: Stand heute werden sie bei der kommenden Wahl, die noch heuer oder erst im kommenden Jahr stattfinden wird, in die Oppositionsrolle zurückkehren müssen. Ihre einzige Chance, in der Regierung zu bleiben. besteht darin, dass (erstens) in der ÖVP Leute ans Ruder kommen, die großkoalitionär im klassischen Sinne ticken, sich (zweitens) Türkis-Rot jedoch nicht ausgeht und daher (drittens) sie gebraucht werden. Aber ist das reizvoll? Begrenzt.
Diese Aussichten sind denn wohl auch der Grund dafür, dass Kogler die Absicht hat, einmal mehr als Spitzenkandidat in eine Nationalratswahl zu zeihen. Er sei Bundesparteisprecher bis 2025 und nehme das als Antrieb, zu kandidieren, teilte er der „Krone“ mit.
Kogler glaubt also, wieder ausputzen zu müssen. Wie schon 2017 und in weiterer Folge, als sie aus dem Hohen Haus geflogen waren und bei null anfangen mussten. 2023 oder 2024 werden sie eher nicht aus dem Hohen Haus fliegen, ein Stück weit aber ebenfalls bei null anfangen müssen.
Gefordert ist eine breite Oppositionsrolle. Bei den Grünen wird Klima dabei immer im Zentrum stehen, notwendig sind aber auch Korruptionsbekämpfung, Bildungspolitik oder eine eigenständige Sozial- und Steuerpolitik etwa, die nicht von vornherein auf einen Kompromiss mit der ÖVP ausgerichtet ist. Und vor allem Kontrolle auf parlamentarischer Ebene.
Diese Breite kann Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die schon länger als Kogler-Nachfolgerin gehandelt wird, nicht liefern. Sie war außerparlamentarisch tätig, ehe sie Ministerin wurde. Ihr Thema war und ist Umwelt- und Klimaschutz. Das ist wichtig, reicht aber nicht, um sich in der vielschichtigen Opposition behaupten zu können.
Abgesehen davon ist es eine Offenbarung für die Grünen, dass sich keine Alternative zu Kogler aufdrängt: Es weist darauf hin, dass sie darauf vergessen haben, quasi außerhalb der Regierungsarbeit geeignete Leute wachsen zu lassen. Und dass sie in Wien und Tirol etwa den Abschied aus der Landesregierung noch immer nicht so weit verdaut haben, dass sie dort eine wahrnehmbare Kraft mit Frauen und Männern bilden würden, die sich auch für die Bundespolitik anbieten. Umso verhängnisvoller ist es für die Partei, dass in absehbarer Zeit auch ihre Regierungsbeteiligungen in Salzburg und Vorarlberg zu Ende gehen könnte und dort zunächst ebenfalls ein Neustart erforderlich werden dürfte.